Mitten auf dem gepflasterten Rathenauplatz in Frankfurt erhebt sich seit kurzem ein 70 Tonnen schweres Betondenkmal. Der Koloss trägt die Konturen eines alten Kraftpost-Busses der 30er und 40er Jahre. Mit diesen Fahrzeugen wurden ab 1940 tausende Männer, Frauen und Kinder aus psychiatrischen Kliniken abgeholt, um sie anschließend im Rahmen der sogenannten „Aktion T4“ unter dem Vorwand der „Euthanasie“ zu ermorden.

Ein lauer Sonntagmorgen in Frankfurts Innenstadt. Vögel zwitschern, eine Kehrmaschine entfernt den Unrat der letzten Nachtschwärmer, die ersten Autos brausen durch die Innenstadt. Nur ein paar wenige Passanten sind um diese Uhrzeit auf dem mit dunkelgrauen Steinen gepflasterten Rathenauplatz unterwegs. Das Rauschen des Springbrunnens lockt eine Mutter mit Kind an, ein Radfahrer rattert hastig über die Pflastersteine. In Mitten des Platzes ragt ein monströses, graues Betonkonstrukt hervor. Von hinten und vorne sieht es aus wie ein in vier Teile zerschnittenes Bauwerk, erst in der Gesamtansicht erkennt man die Silhouette eines Omnibusses. Neben dem Bus ein frankfurt-typisches Haltestellenschild. Wo üblicherweise der Hallenstellenname angebracht ist, findet sich der Hinweis „Die Grauen Busse“.

Rückblende, zurück ins Jahr 1939: Hitlers barbarischen Vorstellungen von „Rassenhygiene“ und „Aufartung“ standen behinderte Menschen, sowie Menschen mit psychologischen Erkrankungen im Weg. Bereits im Juni ‘39 rief der NS-Diktator Beratungen zur „Vernichtung von lebensunwertem Leben“ ins Leben. Als Resultat aus diesen ermächtigte Hitler im Oktober mit einem Schreiben den Leiter der Kanzlei des Führers, Philipp Bouhler, und Hitlers Begleitarzt, Dr. Karl Brandt, „nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes [die Gewährung des] Gnadentod[s]“. Dieses Schreiben sollte den Beginn der „Aktion T4“ markieren (T4 stellte die Abkürzung der Adresse der damaligen „Zentraldienststelle T4“ in Berlin dar, beheimatet in der Tiergartenstraße 4) und somit die systematische Ermordung von mehr als 70.000 Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen.

Zurück zu den „Grauen Bussen“. Bei diesen handelte es sich zunächst um alte Kraftpost-Busse, die ursprünglich zur kombinierten Personen- und Postbeförderung eingesetzt wurden. Als Adolf Hitler die „Aktion T4“ initiierte, übernahm die eigens für diesen perfiden Zweck gegründete sogenannte „Gekrat“, die Gemeinnützige Krankentransport GmbH einige dieser Busse. Die zunächst roten, dann mit einem grauen Luftschutz-Tarnanstrich gefärbten Busse wurden schnell zum Symbol des Todes. Mit ihnen wurden Männer, Frauen und Kinder aus psychiatrischen Kliniken abgeholt und in T4-Tötungsanstalten überführt und ermordet. Alleine mehr als 1.000 Frankfurterinnen und Frankfurter wurden mit diesen Bussen in die sogenannte „Euthanasie“-Anstalt Hadamar bei Limburg überführt und mit dem Giftgas Kohlenmonoxid getötet. In Hadamar fanden vom 13. Januar bis zum 24. August 1941 insgesamt 10.122 psychisch kranke oder behinderte Menschen den Tod. Insgesamt kostete die nationalsozialistische Gewaltherrschaft zwischen 1933 bis 1945 etwa 300.000 psychisch Kranken oder behinderten Menschen das Leben.

Zurück in die Realität. Das Mahnmal wirkt bedrohlich. Die Längsseite ist 8,70 m lang, die Querseite ist 2,40 m breit. Das Werk ist mit 2,50 m lebensgroß. Es besteht aus vier Betonsegmenten und einer Stahlbetonbodenplatte. Das Gesamtgewicht von satten 70 Tonnen kann man erahnen, sobald man das Werk in seiner gesamten Masse erfasst. Der Bus ist der Länge nach durchgeschnitten und mittels engen betonierten Weg begehbar. Während die Außenflächen die Fensterstruktur des Busses erahnen lassen, sind die Innenflächen des Busses glatt. In Fahrtrichtung aus betrachtet findet sich im vorderen linken Segment das überlieferte Zitat eines deportierten Mannes: „Wohin bringt Ihr uns?“ mit den Jahreszahlen 1940 und 1941. Im Inneren des Werkes riecht es, als ob mehrere weniger geschichtsbewusste und intelligente Personen das Mahnmal mit einem Urinal verwechselt haben.

Mittlerweile hat sich der Rathenauplatz gefüllt. Ein älterer Herr auf einem Fahrrad hält an, als er den Betonbus sieht. Er stellt sich an das Haltestelleschild, um dort, wo normalerweise ein Fahrplan weilt, den geschichtlichen Hintergrund der „Grauen Busse“ nachzulesen. Ein Touristenpärchen aus Fernost posiert für Selfies vor dem Bus. Ein weiteres Pärchen mit amerikanischem Akzent liest den englischen Begleittext an der fiktiven Haltestelle und scheint wirklich emotional gefasst. Ein junges Pärchen lässt seine Kinder auf die angedeutete Motorhaube klettern. Sie quietschen vergnügt, während sie mit ihren Schuhen dunkelbraune Flecken auf das Mahnmal tapsen. Die Eltern stört das wenig. Viel mehr stört sie, dass ja ein Stück Bus in der Mitte fehle. Je länger man an diesem Mahnmal verweilt und je mehr Passanten man in ihren Reaktionen auf das Werk beobachtet, desto beruhigter ist man in seiner Erwartung, dass die Aktion „Die Grauen Busse“ noch bis Ende Mai 2018 auf dem Rathenauplatz in Frankfurt zu Gast ist und von vielen weiteren Aktionen begleitet wird. In der Hoffnung, dass sie den ein oder anderen Betrachter noch einmal kräftig zum Gedenken und Nachdenken anregt.

Mehr Informationen gibt es unter www.die-grauen-busse-frankfurt.de.