Auch wenn ich mir immer vornehme, rücksichtsvoll, gelassen, verständnisvoll und empathisch zu agieren, bin auch ich Gefangener meiner Spezies. Der Homo sapiens hat traditionell so seine Schwierigkeiten im Umgang miteinander. Blöd nur, dass die Entwicklung des menschlichen Umgangs eher eine rückläufige Evolution antritt. Leider bin ich mit der Welle mitgeritten…
Es dürfte unumstritten sein, dass die Nerven eines Menschen nur bis zu einem gewissen Grad belastbar sind. Persönliche Befindlichkeiten, Lärm, Stress, mentaler und psychischer Druck: all das kann das Toleranzlevel eines Menschen absenken und ihn gedanklich zur Weißglut treiben.
Vor einigen Monaten hat es mich erwischt. Die Woche war äußerst stressig und ich fühlte mich unter Zugzwang. An einem Mittwochvormittag sollte ich ein wichtiges Telefonat führen. Leider wurden aber Baum- und Gartenarbeiten rund um das Mietshaus erledigt, in dem ich wohne. Stundenlang war das Rattern der Heckentrimmer zu hören, in dessen Kakophonie das Getöse eines motorbetriebenen Laubbläsers sowie das Diesel-Tuckern einer großen Landschaftsmaschine einstimmte.
Bereits über vier Stunden lang konnte ich mein eigenes Wort nicht verstehen, an Telefonieren war nicht zu denken. Bester handwerklicher Tradition nach hörten zwei der drei Maschinen pünktlich um 12:00 Uhr auf, zu arbeiten. Nur die schwere Landschaftsmaschine dröhnte unmittelbar unter meinem Arbeitszimmer. Die Landschaftsgärtner saßen vor der noch laufenden Maschine und aßen in aller Ruhe ihre Stullen.
Das Telefonat drückte! Bis 13:00 Uhr lief die Frist und mein Chronometer zeigte jetzt nur noch bedrohliche 58 Minuten, bis diese Frist ablaufen würde. Die Maschine ratterte immer noch so laut, dass meine doppelt verglasten Fenster vibrierten.
Also beschloss ich die Arbeiter freundlich anzusprechen. Ich schritt die Treppe herab, öffnete die Tür und sprach los:
„Entschuldigen Sie bitte, können Sie die Maschine abstellen? Ich muss dringend telefonieren?“
Dann folgte dieser eine Satz, der bei mir sämtliche Nervenstränge zu kappen schien:
„Zieh‘ ab! Was schert’s Dich?“
Ich kann meinen Gefühlscocktail, der mich in diesem Moment ergriff, nicht in Worte fassen. Ich wusste nur, dass in diesem Moment eine Grenze in meinen tiefsten Inneren verletzt wurde. Ich spürte jedes einzelne Adrenalinmolekül in meinen Adern, fühlte, wie mein Kopf puterrot geworden sein muss, baute meine ohnehin nicht schmale Brust auf.
Ich tobte. Ich holte tief Luft und schrie, dass es der ganze Stadtteil gehört haben musste.
„Wenn diese Drecksmaschine nicht sofort ausgemacht wird, dann rufe ich Euren Chef an und mach‘ da ein Fass auf! Dann sehen wir mal weiter!“
Ich drehte mich so schwungvoll um, dass jeder Superman-Umhang cineastisch im Wind geweht hätte und schlug die Haustür so kräftig und laut zu, dass die Briefkastendeckel wackelten, als wäre gerade ein Erdbeben mit 6,0 auf der Richterskala durch Frankfurt gefegt.
Im gleichen Moment fühlte ich mich auf sonderbare Weise erleichtert und angewidert gleichermaßen. Als ehemalige Flughafen-Servicekraft habe ich neun Jahre lang am eigenen Leib erfahren müssen, wie es ist, angeschrien, beschimpft und bepöbelt zu werden. Und jetzt lasse ich mich selbst dazu hinreißen?
So bin ich nicht erzogen worden. So wollte ich selbst nie sein. Ich hielt immer den Kurs für sinnvoll, vernünftig, ruhig und auf Sachebene solche Dinge zu verhandeln, ein Gespräch auf Augenhöhe zu führen.
Ich muss mir in diesem Kontext aber auch eingestehen, dass ich in den letzten Jahren merklich daran gescheitert bin. Das höfliche Telefonat, das freundliche Nachfragen und die sachliche Bitte um Problembehebung haben schon lange wenig bis gar keinen Erfolg mehr. Gerade im Umgang mit Dienstleistern und Unternehmen. Ohne Schlüsselreize wie die fast schon übliche Anwaltsdrohung oder eine mögliche Konsequenzziehung wie Vertragskündigung oder einen Wechsel zur Konkurrenz bewegt sich fast gar nichts mehr. Das ist schade, zwingt es doch den eigentlich kompromiss- und dialogbereiten, mündigen Kunden in eine Forderungsrolle, die er unter dem Bewusstsein eines gesunden Menschenverstandes gar nicht einnehmen mag. Zumindest ich nicht.
Der gesellschaftliche Trend heißt: um jeden Preis (negativ) auffallen.
Sieht man davon ab, dass das, was der Bauarbeiter mir entgegnete, verbal ebenso auffällig war, wie meine Reaktion. Aber nur durch meinen Wutausbruch hatte ich Erfolg. Ich erkämpfte mir die ruhige halbe Stunde, die ich benötigte, um das Telefonat abzuwickeln.
Quod erat demonstrandum.
Es ist wohl unnötig zu erwähnen, dass der Lärmpegel nach der Mittagspause der Landschaftsgärtner mindestens doppelt so laut war, wie zuvor.
Rache wird eben doch lärmend serviert.
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