Die tschechische Künstlerin Eva Roucka soll einst gesagt haben: „Eine Skulptur muss für sich sprechen; wenn nicht, ist sie nicht der Rede wert.“ In Bad Homburg sind jetzt gleich 32 Ausstellungsstücke zu sehen, die sehr wohl die Rede und einen Besuch wert sind.
Fünfundzwanzig Kilometer nördlich von der Frankfurter Innenstadt ist derzeit eine Biennale zu sehen, die Freund*innen von Großskulpturen und Installationen auf keinen Fall verpassen sollten. Vom 14. Mai bis zum 1. Oktober 2023 sind im Bad Homburger Schloss- und Kurpark die „Blickachsen“ zu sehen. Der Name der Schau geht auf die im 19. Jahrhundert von Peter Joseph Lenné in der Gartenarchitektur des Bad Homburger Kurparks angelegten „Blickachsen“ zurück.
Die „Blickachsen“ in seiner 13. Auflage bieten ein breites Spektrum von über 30 Werken zeitgenössischer Skulptur und Installation im öffentlichen Raum. Bei der diesjährigen Kuration hat die Stiftung Insel Hombroich mitgewirkt, ein in Neuss gelegenes Kunstmuseum, das sich in Anlehnung an Paul Cézanne dem Motto „Kunst parallel zur Natur“ verschrieben hat.
Die ohne Eintritt frei zugänglichen Installationen verteilen sich auf 10 Werke im Bad Homburger Schlosspark und weitere 22 Skulpturen im hiesigen Kurpark. Wer seine Tour dabei im geografisch höhergelegenen Schlosspark beginnt, wird unweigerlich mit dem wuchtigen Werk „Blossom“ von einem der einflussreichsten portugiesischen Künstler seiner Generation, Pedro Cabrita Reis, konfrontiert. Die Installation aus weißen Vierkantrohren beinhaltet keine fest architektonisch geprägte Struktur und entzieht der sonst so deutlich gegliederten Gartenkonstruktion sämtliche Struktur.
Ähnlich disruptiv wirkt die Installation „Square Tubes (Looping)“ von Thomas Rentmeister. Die in sich verwobenen Lüftungskanäle aus verzinktem Stahlblech brechen die ansonsten so friedfertige Landschaft auf und zeigen den Bruch mit der Natur, den die menschgemachte Industrialisierung beigetragen hat.
"In einer Zeit, in der sich das künstlerische Tun zwischen postkolonialem Diskurs und Identitätspolitik, zwischen Klimaschutz und Rassismus, zwischen Genderfragen und Klassismus immer wieder neu zu positionieren hat, erhält die Frage nach der Autonomie der Kunst eine neue Brisanz. Dabei geht es um die Frage nach den inneren Strukturen des Kunstwerks, seiner Formwerdung und -findung, um Ambivalenz, Vieldeutigkeit und Offenheit für die wachsende Pluralität der Gesellschaft."
Roland Nachtigäller, Geschäftsführer der Stiftung Insel Hombroich in der offiziellen Pressemappe
Im Vergleich dazu wirkt so manche Skulptur im Kurpark hingegen erstaunlich integrativ. Ina Webers Kreation „Aldi Süd“ passt sich surreal gut in die umliegende Landschaft ein. Ihre verkleinerte Supermarkt-Interpretation interpretiert das Realempfinden unserer Lebenswelt gleichermaßen vertraut und das erstaunlich harmonisch platziert.
Spielerisch mit dem Licht der Umgebung sinniert die aus 12 Reihen von Autorücklichtern geformte Arbeit „Die Perlen des Alltags“ des Künstlerduos Winter/Hoerbelt. Ob die strahlenden Leuchten als Symbol von Prosperität und Statusdenken zu sehen sind oder das immerwährende Rücklicht im Stau als Symbol von Rückschrittlichkeit und Stillstand, darf wohl der jeweilige Betrachtende selbst interpretieren.
Unter den Exponaten erwarten die Besucher*innen eine riesige Varianz von Werken. Einerseits wuchtig und grob, andererseits filigran und feinfühlig. Von einnehmend bis eingliedernd, von natürlichen bis raffinierten Materialien, von spielerisch über realitätsbrechend: die hervorragend kuratierte Exposition lässt keine Wünsche offen. Ob die Tour im Kur- oder Schlosspark beginnen möge, liegt im Gusto des Betrachters. Nichtsdestoweniger dürfte nicht mehr so mobilen Menschen mit Sicherheit einfach fallen, im Schlosspark einzusteigen und dann in Richtung Kurpark hinabzulaufen.
Bei aller Lobhudelei muss allerdings auch benannt werden, dass diese Ausstellung zwei klare Schwächen aufweist. Die erste ist wohl ein nicht beeinflussbarer Faktor und dieser heißt „Mensch“. Trotz immerwährender Hinweise, Kunstwerke nicht zu beklettern oder zu besteigen, machen manche „Kunstliebhaber*innen“ genau das. Insbesondere für Kinder scheint hier absolute Narrenfreiheit zu gelten, genau das gleiche, wenn die Selfie-Selbstdarstellung sämtlichen Respekt vor den Werken verliert. Das zweite Manko ist die Navigation durch die „Blickachsen“. Zwar sind gelegentlich Wegweiser aufgestellt, die aber ihren Druck nicht wert sind, weil die Referenz zum aktuellen Standpunkt fehlt. Warum hier nicht ein „Ihr Standort“-Pünktchen verklebt werden konnte, erscheint genauso schleierhaft wie das Handling der Online-Karte auf der Website, die im mobilen Einsatz absolut unpraktikabel ist. Auch hier fehlt die Möglichkeit, seinen Standort anzeigen zu können. Die Navigation durch die mobile Karte vermisst jedes logisches Handling, nach dem Ausschalten des Displays verschwindet die Karte wieder in ihren Ursprungszustand, gleiches, wenn der Maximieren-Modus der Karte aktiviert oder deaktiviert bzw. das Handy vom horizontalen in den vertikalen Betrieb gekippt wird. Rundum: sie ist im Navigieren durch die Ausstellung maximal ärgerlich.
Trotz des absoluten Navigationsdesasters durch die Ausstellung bleibt ein positives Fazit: ein Besuch der „Blickachsen 13“ sollte zum Pflichtprogramm des Kultursommers in Rhein-Main zählen.
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