Gestern wurde die Luminale offiziell abgesagt. Aber kann die kurzfristige Absage einfach so ein Festival der Lichtkunst ausknipsen? Eine Spurensuche nach Überresten und Widerständen nach der Luminale-Absage.

Ich hatte eine schlaflose Nacht. Obwohl doch eigentlich die Entscheidung final war, die Luminale von offizieller Seite abzusagen, konnte ich mich dem Gedanken nicht erwehren, dass das Ende der Biennale ohne eigentlichen Beginn der Lichtschau schon in Stein gemeißelt sei. Ein Gewissenskonflikt zwischen dem völlig rationalen Zuhausebleiben mit dem Hinnehmen der Luminale-Annulierung einerseits und der Verpflichtung eines Bloggers und Journalisten, hinter die Kulissen zu blicken und zu recherchieren, ob meine Hin-und-Hergerissenheit auch von den Lichtkünstler*innen getragen wird. Gibt es im Frankfurter Stadtbild beleuchteten Widerstand?

Es dauerte bis spät in den Freitagnachmittag, bis ich entschied: ich gehe. Ich fühle eine innere Schuldigkeit. Künstler*innen haben monatelang für Kunstinteressiert gearbeitet. Also auch für mich. Dazu kommt, dass die Viruspandemie der Kunst noch in vielfacher Hinsicht zusetzen wird, sei es finanziell oder in ihrer medialen Präsenz. Ich kann nicht anders, also los! Ich will wissen, ob Fragmente der abgesagten Lichtschau noch das Stadtbild prägen. Ob Künstler*innen ihre Werke gegen die omnipräsente Coronavirus-Quarantäne durch die offizielle Absage verteidigen. Ich will wissen, – falls ich sie überhaupt treffen kann – wie Werkschaffende mit dieser Absage umgehen.

Nachdenken an der Deutschherrnbrücke: soll ich oder soll ich nicht?

Ich beginne meine Tour auf der Deutschherrnbrücke und blicke auf das ambivalente Wetter des Abends. So wirklich entscheiden kann sich der Himmel über Frankfurt gerade nicht, ob er vereinzelte Sonnenstrahlen durchlassen soll oder lieber einen kräftigen Regenschauer auf die Mainmetropole schickt. Ich blicke in die Luminale-Faltkarte mit den vielen eingezeichneten Werken, die sich über das gesamte Stadtgebiet verstreuen. Werde ich überhaupt an einem einzigen Marker auch Lichtkunst antreffen? Oder ist mein Vorhaben schlichtweg zu naiv. Ich beschließe die als „Route 3“ angebotene 7,5 km lange Strecke durch den Frankfurter Anlagen- und Cityring zu wählen. Als Fortbewegungsmittel dient mir ein eScooter. Zumindest dies ist schon ein Novum zur Luminale in Frankfurt. Bei der letzten Ausgabe der Biennale gab es diese Möglichkeit der Fortbewegung noch nicht, sich auf einem elektrischen Tretroller von Kunstwerk zu Kunstwerk zu bewegen.

Ich biege am Literaturhaus in die Obermainanlage ein und steuere den Rechneigrabenweiher an. Vom Werk unter dem Luminale-Code F068 ist weit und breit nichts zu sehen. Eigentlich sollte hier „Cygnus“ gezeigt werden, ein Kunstwerk von Denis Bivour und Florian Giefer. Acht künstliche Schwäne sollten leuchten und nur anhand von autonomer GPS-Fortbewegung ein Wasserballett aufführen. Einen schöneren Einsteig, um sich mit dem angedachten Motto der Luminale „Digital Romantic“ auseinanderzusetzen, hätte ich mir nicht ausmalen können. Doch anstatt tanzender Schwäne, blöken mich zwei genervte Nilgänse unentwegt an, die mir sehr deutlich machen, dass sie am Weiher zu später Stunden keinen Trubel mehr wünschen. Und mehr als drei vergessene Absperrbaken zeugen nicht mehr von der Lichtinstallation.

Keine Installation am Rechneigrabenweiher, stattdessen nur blökende Nilgänse.

Ich lasse mich nicht entmutigen und fahre einen kleinen Bogen in die Allerheiligenstraße. Voller Freude entdecke ich schon aus der Ferne die quietschgelb eingekleidete Hausecke mit dem Hinweis auf das Werk „Linaer Circuit III“. Die Tür bleibt jedoch verschlossen, der Blick durch die Fenster offenbaren ein tiefes Schwarz und keinerlei Hinweis darauf, dass dieses Kunstwerk noch aktiv sei. Zwei Mal Fehlanzeige am Stück frühren dazu, dass mein Vertrauen in meine Vorhabung schon schwer Schaden genommen hat. Ich begebe mich zurück auf die eigentliche Route von der Obermainanlage in Richtung Friedberger Anlage.

Plötzlich geht mir ein Licht auf! Im wahrsten Sinne des Wortes! Beim Blich auf die Parkbeleuchtung wird mir klar, dass es sich um eines der Kunstwerke handelt, das ich beim Studieren des Luminale-Programmführers entdeckt hatte. Es handelt sich um „Luminaries“. Diese schwarz-weißen Lampions spiegeln die Corporate Identity der Luminale wieder. Die Anordnung der Parkleuchten weist den Besucher*innen den Weg in die historischen Wallanlagen.

LUMINARIES: schwarz-weiße Lampions weisen den Weg zu den Wallanlagen

Als ich die beleuchtete Parkchaussee mit dem Lichtschimmer der Lampions entlang düse, schließlich über die Friedberger in Richtung der Eschenheimer Anlage fahre, steigt in mir intrinsisch den Song „Boulevard of Broken Dreams“ auf.
 

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Denn was mir begegnet, sich nichts weiteres als Relikte von abgebauten Outdoor-Werken, deren Überreste eine traurige Erinnerung an eine verhinderte, farbenprächtige, künsterlisch-romantische Lichtschau bieten. Ob übrig gebliebene Stromleitungen und Kabelbrücken. Ob ganze Werke, die ein trauriges Offline-Dasein fristen, wie Johannes Kriesches „Every Breath You Take“ (im Bild unten links), dessen ovaler Ring auf LED-Tubes eigentlich den nahestehenden Baum hätte inszenieren sollen. Der Anblick schmerzt deshalb, weil er bewusst macht, dass bei aller „Digital Romantic“ am Ende eben doch nur Logisitk übrigbleibt. Eine Metapher?

Traurige Relikte der Luminale im Stadtbild
Warum wählt die Luminale das Thema „Digital Romantic“? Weil insbesondere Licht als Medium und Material (der Kunst und der Stadtgestaltung) die Gegensätzlichkeit des Begriffspaars „Digital – Romantik“ in sich vereint. Licht erscheint also (vielleicht wie kein anderes Medium) geeignet, um die Frage nach der Wechselwirkung, dem Zusammenspiel und der Bedeutung von Digitalem und Romantik zu beantworten.

Auszug der Luminale-Website zum angedachten Motto der Biennale

Die Hälfte meiner Tour erreiche ich mit meinem Schlenker von der Bockenheimer Anlage zum Festivalzentrum „Instituo Cervantes“. Es sollte eigentlich der Nukleus der Luminale sein: mit Vortragsreihen und dem Informationszentrum zur Biennale. Aber das einzige, was hier an die Luminale erinnert, ist die eingeschaltete Leuchtreklame des Instituto selbst und das im Wind flatternde Banner vor dem Haupteingang. Der Rest ist dunkel; das Leben aus dem Festivalzentrum bereits ausgehaucht. Bis auf die Lampions in der Friedberger Anlage habe ich bis jetzt also gar nichts gefunden. Es scheint, als habe man die Luminale in einer Tag-und-Nebel-Aktion einfach ausgelöscht. Fühlt sich irgendwie schmerzvoll an.

Ich biege zurück auf den Reuterweg. Mir ist klar, dass ich an der Alten Oper werde nichts finden können, aber vielleicht ist das Sichtfeld schon wieder freigeräumt für eine schöne Fotografie dieses im Regelbetrieb bereits sehr stattlich beleuchteten Baus. Kurz vor der Alten Oper vernehme ich plötzlich sphärische Klänge, die mich magisch anziehen. Ich traue meinen Augen nicht! Vom metallisch kalten Bogen, der das Areal der Bockenheimer Anlage mit dem Gebäudekomplex „Die Welle“ verbindet, sehe ich plötzlich ein Lichtermeer aus farbigen Bällen.

Installation „Durch die Welle fließt ein Lichtermeer“.

Ich bin so euphorisch, dass ich mich mit einem eScooter sofort in das Areal einfahre und prompt von einem Ordner angehalten werde, auf diesem Privatgeläde abzusteigen. „Oh ja, verzeihen Sie, natürlich“, stottere ich, meinen Blick nicht auf den Gentleman sondern stur nach oben gerichtet. Licht und Akustik haben mich längst gefesselt, ich lausche und beobachte die Farbwechsel, die sich der Geräuschkulisse anpassen.

Neben dem Lichtteppich, den man durchschreiten kann, erleben Betrachter*innen akustische Versatzstücke

Es gibt sie also doch noch! Die Werke, die nicht abgebaut werden konnten oder die nicht abgebaut werden sollten. Welche Option auf „Durch die Welle fließt ein Lichtermeer“ zutrifft, bleibt mir verborgen. Künstler*innen treffe ich nicht vor Ort. Nichtsdestoweniger macht mir dieses erste in seiner gesamten Installation vorhandene Werk Mut und Kraft, die nächsten Kilometer auf meinem Elektrogefährt zurückzulegen.

Einen ersten Schluss ziehe ich aus dieser ersten lichtkünstlerischen Begegnung. Chancen, trotz Luminale-Absage Lichtkunst-Spuren zu entdecken, sind wohl dort besonders hoch, wo Installationen nicht im öffentlichen sondern im privaten Raum installiert wurden. Ich passe meine Route also etwas an. Ich verlasse die „Normroute“ an der Taunusanlage und biege in die Neue Schlesingergasse 22-24 ab. Eine Adresse, die im Dreieck von Neue Mainzer Straße, Junghofstraße und Große Gallusstraße liegt. Selbst als Urfrankfurter war mir diese Straße nicht bekannt. Mit meinem Scooter biege ich in einen Hinterhof ein, aus dem mir basslastige Geräusche entgegenschlagen. Ich schaue duch das Fenster und sehe mich bestätigt, dass hier nicht nur Luminale-Code F043 geplant war, sondern das Werk auch noch intakt und aktiv ist.

Minimized Reality: ein digitales Stonehenge?

Ich betrete einen Saal, in dem „Minimized Reality“ einen mystischen, halbkreisförmigen Aufbau bildet. Das Werk wirkt wie ein Steinhalbkreis, fast so sakral wie Stonehenge, aber digital-charismatisch-pulsierend. Abwechselnd zeigt es Formen, Farben und Gesichter. Ein ganzes Team vom Menschen kommt auf mich zu. Zuerst begrüßt mich Heiko per Handschlag, dann die weiteren Teammitglieder der Sensory Minds GmbH. Wir lachen, da wir schnell erkennen, dass die Pflege des normal üblichen Gesellschaftsrituals wohl nicht die beste Idee in Zeiten des Coronovirus war.

Ob Sie denn enttäuscht ob der Absage der Luminale seien, möchte ich wissen. „Es ist eine Vernuftentscheidung“, kommt fast synchron von den Beteiligten. Ich erfahre, dass das Werk leicht rekonstruierbar ist. Im Gegensatz zu anderen Luminale-Werken können die Videostelen neu oder gleich angeordnet werden, das Werk kann leicht transportiert werden. Es ist also nicht vergänglich, wie viele andere Luminale-Werke, deren Existenz mit der Absage schlichtweg verpufft ist. Ich genieße es merklich, dass DJ und VJ extra für mich die Vielfältigkeit der Installation zum Leben erwecken. Schade nur, dass ich alleine bin, lebt das Werk doch von Interaktion. Denn je mehr Besucher*innen in den Kreis vor den Stelen treten, desto ekstatischer werden die Formen und Klänge, die es zu erleben gilt. Als ich den Hinterhof wieder verlasse, fällt mir ein, dass Sensory Minds kein Luminale-Neuling ist. Bereits 2014 sorgten sie mit einer spektakulären Lichtinstallation in Offenbach für Aufsehen.

Mittlerweile ist es bereits 21:45 Uhr und ich weiß, dass ich nicht mehr viel Zeit habe, etwaige Objekte aufzuspüren. Ich stelle meinen eScooter ab und bin ab sofort zu Fuß unterwegs. Trotz voller Hoffnung, mehr Lichtkunst zu entdecken, muss ich zahlreiche Momente der Enttäuschung einstecken. Die öffentlichen Installationen am Juniorhaus, am Roßmarkt sowie an der Hauptwache bis herunter zum Römer liefern nicht mehr ansatzweise einen Hinweis darauf, dass hier Installationen standen. Zugegeben: die Abbau- und Aufräumarbeiten waren mancherorts außerordentlich schnell.

Das Juniorhaus ist wieder normal beleuchtet. Die Frankfurter Kirchen haben ihr Angebot zumeist abgesagt.

Eine Installation im öffentlichen Raum steht dann doch noch, wenngleich nur partiell. Vermutlich, weil so schnell die entsprechenden Spuren nicht hätten beseitigt werden können, bzw. wohl Kräne zum Entfernen der entsprechenden Leuchtmittel von Nöten sind. Das Werk F007 „Blauraum“ in der Fahrgasse kann noch begangen werden. Dazu kann in der dortigen Querstraße Weckmarkt auch noch das Werk „Blindtexte“ in einem Schaufenster erahnt werden.

Blauraum lässt die Fahrgasse noch immer in mystischem blauen Licht erscheinen

Das Werk „Blindtexte“ mit seinen Flipdot-Displays zeigt noch einzelne Bildpunkte an. Text lässt sich aber keiner nachvollziehen.

Da es erst gegen 22:00 Uhr ist, leihe ich mir doch noch einmal einen eScooter. Die eigentliche 7,5 km lange Innenstadtroute habe ich absolviert, jetzt will ich wissen, wie es auf der anderen Mainseite aussieht. Während es in der Dreikönigskirche, dem Metzlerpark und am Schaumainkai keinerlei Luminale-Spuren mehr gibt, werde ich in der Veranstaltungslocation „Ono 2“ fündig. Studierende der TU-Darmstadt haben dort das Werk „HART“ installiert.

Installation HART: von außerhalb betrachtet, wirkt Frankfurt verzerrt, erst bei Näherung an das Kunstwerk sieht mal klare und durchaus warme Kanten

Auch das dortige Team rund um Rita sind tief betroffen von der Absage, aber nicht minder verständnisvoll. Sie freuen sich über meinen Besuch, wir scherzen, ich trinke in der Runde eine Orangina mit und erhalte als Bonus das Kunstwerk dann auch noch mit einem Spielzeug-Godzilla versehen als besonders reizvolles Foto (folgt demnächst). Das Werk selbst besticht durch seine Klarheit, die immer tiefer wirkt, je näher man sich dem Werk nähert. Steht man fern, wirkt die dargestellte Skyline schroff und symmetrisch, näherert man sich, offenbaren sich einem kleine liebevolle Details und die Kanten nehmen eine ungleichmäßige, Wärme ausstrahlende Rolle ein.

Es ist kurz vor 23:00 Uhr und eine Location bietet sich mir noch an: das Museum für Kommunikation. Dort soll durch die große Glasfront heraus die Installation „Dead Pixel“ sichtbar sein, einer Sammlung von 24 defekten Handydisplays, die zusammengeschaltet die Pixel eines neuen Screens ergeben sollen. Und tatsächlich! Auch „Dead Pixel“ ist zu sehen und aktiv.

Installation „DEAD PIXEL“ mit den Reflektionen der regulär vor dem Museum stehenden Lichtinstallation „Pre Bell Man“

Mit knurrendem Magen trete ich den Heimweg an. Ganz spurlos ist die Luminale dann doch nicht verschwunden. Nur wie ist das zu bewerten? Sind das einfach die nicht beseitigten Überreste von Installationen, die einfach nicht so schnell wegzuschaffen waren? Oder steckt da partiell noch Hoffnung und Widerstand von Künstler*innen drin, die „Stellung zu halten“? Ist das vielleicht sogar ein künstlerischer Ungehorsam?

Ich bin noch immer ratlos, aber nicht mehr so mutlos. Und suche auch zu dieser Luminale die Be- oder Erleuchtung.

Ihr
Daniel R. Schmidt


Offizielle Pressemitteilung zur Luminale-Absage