Seit Montag, den 27. April 2020 gilt für Benutzer*innen öffentlicher Verkehrsmittel in Frankfurt eine generelle Tragepflicht von Mund-Nasen-Schutzen. Diese Anordnung ist bis heute nicht widerrufen worden. Wer in Frankfurt mit der U-Bahn unterwegs ist, wird allerdings feststellen, dass diese Pflicht von zahlreichen Bürger*innen nicht eingehalten wird. Der tägliche Selbstversuch scheitert an Egoismen und an der unglücklichen Motivationskampagne der Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF).

 
„Ist mir egal! Ich muss jetzt was trinken“, blökt mir der peinlich berührte und genervte Jugendliche entgegen. Er steht weniger als zwei Meter vor mir und ist an der Station Konstablerwache in die U-Bahn-Linie U6 in Richtung Ostbahnhof eingestiegen. Ich schaue auf meine Uhr. Sie zeigt Freitag, 29. Mai, 08:26 Uhr an. Der Dialog begann ursprünglich mit den Hinweis: „Könntest Du bitte Deine Maske aufsetzen?“ Seine Maske baumelt noch immer unter dem verschwitzten Gesicht, während er angestrengt die letzte Luft aus seinem Trinkpäckchen schlürft. Vermutlich hat er die Bahn gerade so erwischt. Zwischen der Einstiegsfrage und dem Hinweis, das ihm alles egal sei, findet ein lautstarker Austausch von Argumenten statt.

Ich bin es so leid, denke ich, als ich am Zoo endlich aus der Bahn aussteige. Denn dieser Dialog ist nur einer von zahlreichen mal mehr, mal minder freundlichen Dialogen, die ich in den vergangenen zwei Wochen in Frankfurter U-Bahnen geführt habe. Und meiner Ansicht nach gar nicht führen sollte. Das, so komme ich zu dem Schluss, ist die Aufgabe des Betreibers der U-Bahnen, also die Aufgabe der Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF). Sie führt (m)einen Beförderungsvertrages aus und hat eine besondere Sorgfaltsverpflichtung gegenüber allen U-Bahn-Fahrgästen.

Die VGF zu ihren aktuellen Maßnahmen

Rückblende.

Die VGF trat am 27. April sehr offensiv mit einem ganzem Maßnahmenpaket an die Öffentlichkeit[1], verwies auf [Zitat, 1] „Plakaten in den Stationen sowie in Vitrinen von Stationen und Haltestellen, […] Spots auf den Bildschirmen der Fahrscheinautomaten und der Infoscreens, […] Lautsprecherdurchsagen in den unterirdischen U-Bahn-Stationen sowie mit einer kurzen Laufschrift auf den Anzeigern der Dynamischen Fahrgast-Information (DFI)“ [Zitatende]. Öffentlichkeitswirksam wurden unter Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Peter Feldmann kostenfreie Masken verteilt, die Kolleg*innen der Hessenschau berichteten [2]. Der für seine laxe Wortwahl bekannte Pressesprecher der VGF, Bernd Conrads, ließ sich in Zeitungsartikeln auf die Frage nach repressiven Maßnahmen mit den Worten „Wir sind nicht die Maskenpolizei.“[3] zitieren und schloss gegenüber der Frankfurter Rundschau auf die Frage nach Durchsetzung von Beförderungsverweigerungen den Rausschmiss von Maskenverweigerern klar aus: „Es wird keine Wild-West-Szenen geben“ [3].
 

Immer wieder Thema: die Maskenpflicht in Frankfurter U-Bahnen
Repressive Maßnahmen waren zur Beginn der Masken-Tragepflicht auch tatsächlich nicht notwendig. Es schien, als sei die Vernunft der ÖPNV-Fahrgäste ausgesprochen hoch. Zumindest teilte ich diese Ansicht, als ich ab Mittwoch, den 1. April nach kurzer Home-Office-Periode wieder selbst zu den regelmäßigen U-Bahn-Nutzern (und Maskenträgern) zählte. Die Vernunft brach aber spätestens mit der vermehrten Berichterstattung über sogenannte Corona-Leugner und ihre Demonstrationen sowie die anziehenden frühlings- bis sommerhaften Temperaturen ab. Und im Laufe der Zeit entstanden die ersten Konflike. Auch die Kolleg*innen der Frankfurter Rundschau nahmen sich dem Thema in einem Artikel vom 24. Mai 2020 erst kürzlich an.

Fairerweise ist zu sagen, dass es sich mit der Maskenpflicht ein wenig so verhält, wie beispielsweise den menschlichen Ängsten vor Terroranschlägen. Alles hängt von der subjektiven Wahrnehmung ab. Und die korreliert immer mit der persönlichen Bedrohung, die ein Mensch in seiner individuellen Situation verspüren mag. Und auch meine Einschätzung basiert größtenteils auf dem, was ich visuell wahrnehme und in mein ganz persönliches Infektionsrisiko einordne. Folglich kann ich meine Einschätzungen nicht mit Empirie belegen. Zwar hatte ich mehrfach versucht, die Menschen zu zählen, die keine oder die Maske inkorrekt getragen haben, bin aber an der schnellen Fahrgastfluktuation an den Haltestellen gescheitert. Insofern bleibt die Identifikation der folgenden zwei Grundprobleme, die zur Maskenverweigerung führen, leider rein subjektiv.

"Schützen Sie einander und tragen Sie eine Maske!"

Problem 1: die kommunikativ-mangelhafte Kampagne „Alle fahren mit Maske“

Kampagne „Alle fahren mit Maske.“ der VGF
Der Claim der VGF lautet „Alle fahren mit.“[5] Die passende Kampagne inkludiert Fahrgäste aller Couleur und setzt sie — dem Unternehmensleitbild der VGF nach — in das Zentrum der Betrachtungen. So weit, so gut.

Der daraus abgeleitete Slogan „Alle fahren mit Maske.“ ist zwar eine stilistisch gelungene Transferleistung, schießt aber als Wunschdenken am kommunikativen Sinn vorbei und ist ein zahnloser Appell. Und somit für die Motivation bzw. Durchsetzung einer Maskenpflicht unbrauchbar. Noch abstruser wird diese Wortwahl, wenn die auf den Fahrtenkartenautomaten publizierten Sprachen Englisch und Französisch Berücksichtigung finden. Dort ist auf den Fremdsprachen sehr wohl von einer Maskenpflicht die Rede:

Drei Sprachen, drei Aussagestärken: Hinweise zum Maskentragen der VGF

Ein Benchmarking (ja, ja, ich weiß Föderalismus und so):

  • Die Kölner Verkehrsbetriebe weisen unter der Kampagne #MaskeAuf darauf hin, dass [Zitat, 6]: „das bedeutet, dass Sie Bus und Bahn sowie die Einrichtungen der KVB nur noch nutzen dürfen, wenn Sie Ihren Mund und Ihre Nase mit einer Maske, einem Schal oder einem Tuch bedeckt haben.“ [Zitatende].
  • Die Hamburger Hochbahn benennt klar [Zitat, 7]„In Bussen, Bahnen und an Haltestellen im gesamten HVV-Gebiet gilt eine Maskenpflicht“[Zitatende].
  • Auch in der Nürnberger U-Bahn stellt man sehr deutlich im Rahmen der Kampagne „So fahren wir alle sicher“ fest: [Zitat, 8]„Grund­sätz­lich gilt für Fahr­gäste ab dem 7. Le­bens­jahr die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung in allen Ver­kehrs­mit­teln und zugehörigen Anlagen […].“[Zitatende]
  • Noch mal zurück zur VGF-Kampagne. Von den im oben angeführten Zitat erwähnten „Plakaten in den Stationen sowie in Vitrinen von Stationen und Haltestellen“[1] sieht man überhaupt nur welche an den unterirdischen Stationen, die „Infoscreens“[1] zeigen nach wie vor die Verhaltenshinweise, die auch Anfang April bereits zu sehen waren („Waschen Sie Ihre Hände!“). Insofern kann man sich die Aufmerksamkeitsökonomie selbiger an der Hand abzählen. Von den „Automatischen Durchsagen in den Bahnen“[1] habe ich in der gesamten Zeit ausschließlich eine einzige gehört, die mich zwar zugegebenermaßen relativ gut überrascht hat, aber mit dem Text „Schützen Sie einander und tragen Sie eine Maske“ genauso wenig aussagekräftig ist wie die textlich gleiche Einblendung auf den „Anzeigern der Dynamischen Fahrgast-Information (DFI)“[1].

    Dabei wäre es ein einfaches, ohne die schwer verständliche Floskel „Schützen Sie einander“ Klartext zu schaffen, beispielsweise in dem man benennt, was eigentlich zu sagen ist: „Sie müssen beim U-Bahnfahren einen Mund-Nasen-Schutz tragen.

    Problem 2: der menschliche Egoismus

    Der wissenschaftliche Erkenntnisstand über COVID-19, also die Erkrankung, die aus einer Infektion mit dem Coronavirus resultiert, ist alles andere als final und alleserklärend. Nichtsdestoweniger ist den Forschern klar, dass das Tragen eines Mund-Nasenschutzes und das Einhalten von entsprechenden Abständen eine probate Maßnahme darstellen, um das Infektionsrisiko von anderen zumindest deutlich zu mindern[9].

    Sollte diese Erkenntnis nicht bereits Motivation sein, andere bestmöglich schützen zu wollen? Auch und gerade, weil ich das auch von anderen Mitmenschen erwarte? Und auch, weil ein Lockdown bereits in unseren Notizbüchern schmerzlich vermerkt ist?

    Kurzum: wer seine Maske bewusst nicht oder falsch trägt, handelt egoistisch. Punkt. Er nimmt Ansteckungen seiner Mitmenschen billigend in Kauf und zeigt damit sehr klar, dass im gemeinschaftlichen Wertesystem die ein oder andere Sicherung durchgebrannt ist. Wer sich in dem Kontext darauf beruft, dass Handytelefonate in der Bahn, der Verzehr von Eiskrem oder Ähnliches sein müssen, dem sei ein schlichtes und klares „Nein“ entgegengebracht.

    Bliebe aber die Frage, wie damit umgehen? Es wird leider nur mit entsprechender Manpower und deutlicher Ansprache funktionieren, in einem weiteren Schritt mit repressiven Maßnahmen. Natürlich kann die VGF als Betreiberin der U-Bahnen in Frankfurt nicht mit Ordnungsgeldern sanktionieren. Aber so einfach, wie VGF-Pressesprecher Bernd Conrads sein Unternehmen aus der Pflicht spricht, ist es dann auch nicht.

    Denn die VGF hat Sorgfaltspflichten. Die hat sie sich übrigens mit der Unterwerfung unter die RMV-Beförderungsbestimmungen selbst auferledigt. Und sie hätte durchaus ein rechtliches Fenster, gegen Maskenverweigerer vorzugehen, auch ohne ordnungspolizeiliche Maßnahmen. Nämlich mit der Wahrung ihres Hausrechtes. Passende rechtliche Grundlagen sind in §2, Absatz 2 der RMV-Beförderungsbedingungen, der einen Ausschluss von Personen mit infektiösen Krankheiten vorsieht[10], bereits gesetzt, hilfsweise nach §3, Absatz 1 mit dem Verstoß gegen Anweisungen des Betriebspersonals.

    Wenn die Verkehrsgesellschaft Frankfurt klug ist, steuert sie jetzt nach. Denn die schrittweise Rückkehr zu einer Prä-Corona-Normalität bedeutet mehr Passagiere in den Zügen, höhere Frequenz an Abstandsunterschreitungen und zunehmende Konfliktsituationen im Umgang mit den Mund-Nasen-Schutzen. Hilfreich wäre, wenn dazu das VGF-Betriebs- und Sicherheitspersonal deutlich mehr Präsenz in den Zügen zeigen würde. Ach ja. Und wenn die VGF-Mitarbeiter selbst der Maskenpflicht einheitlich nachkämen würden. Das wäre schon ein gutes, erstes Zeichen.

    Andere Stimmen zum subjektiven Empfinden der Maskenpflicht (Thread auf Twitter)

    Quellen und Referenzen

    [1] „Pflicht in Bahnen und Bussen: VGF verteilt Mund-Nase-Bedeckungen“ von Bernd Conrads
    [2] „Schutz vor Corona in ÖPNV und Geschäften — So lief der erste Tag mit Maskenpflicht“ von Anna Spieß, Marie-Cathérine Fromm, hessenschau.de
    [3] „Nahverkehr — Corona in Frankfurt: Alle fahren mit Maske“ von Oliver Teutsch
    [4] „Corona im ÖPNV — Maskenpflicht in der Bahn: Nicht alle halten sich daran – das sorgt für Ärger“ von Jutta Rippegather
    [5] „Das Unternehmensleitbild der VGF — Alle fahren mit.“ von der Verkehrsgesellschaft Frankfurt
    [6] „Corona-Krise: Infos zum ÖPNV in Köln“ von den Kölner Verkehrsbetrieben
    [7] Für Ihre und unsere Gesundheit — In Bussen, Bahnen und an Haltestellen im gesamten HVV-Gebiet gilt eine Maskenpflicht
    [8] „Corona: Aktuelle Situation im VGN“ vom Ver­kehrs­ver­bund Groß­raum Nürn­berg
    [9] BR24 — Masken dämmen die Sars-CoV-2-Übertragung durch die Luft ein von Katrin Klaus
    [10] Gemeinsame Beförderungsbedingungen (gültig ab 01.01.2020) des Rhein-Main-Verkehrsverbundes