Audiotext zum Nach- und Mitlesen:

Deutschland – das Land der Dichter und Denker. So jedenfalls dedizieren wir uns selbst gerne. Ob Goethe, Schiller, Lessing oder Thomas Mann, ob Hegel, Nietzsche, Horckheimer oder Adorno, die Deutschen halten etwas auf ihre Schriftsteller und Philosophen, auf ihre Vor- und Querdenker.
So unterschiedlich diese Persönlichkeiten ihren Zugang zur Meinung, zur Sprache und zur Literatur oder eben Philosophie gefunden haben mögen, eines ist ihnen doch gleich. Sie alle beherrschten ein sprachliches Werkzeug, welches in den letzten Jahren den traurigen Pfad der Verkümmerung angetreten ist: die Diskussion.
Eine Diskussion verschachtelt doch im Kern so vieles: eine Aussprache, eine Erörterung, einen Gedankenaustausch, aber auch ein Wortgefecht, eine Meinungsverschiedenheit, einen Streit oder einen Disput, an dessen Ende bestenfalls eine Triade steht; bestehend aus These, Antithese und Synthese.
Soweit die Theorie, die mit der gelebten Praxis in Politik und Gesellschaft nur noch wenig zu tun hat. Die Diskussion, sie ist aus der Mode gekommen, sie ist “out”. Sie verkommt zur ewigen Polemik, zur generellen Polarisation und zum steten Abwehren von verbalen Angriffen – national und international.
Hören Sie beispielsweise den aktuellen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, Donald Trump, oder so manch‘ Spitzenkandidaten der Alternative für Deutschland, so stellen Sie schnell fest, dass ein Austausch von inhaltlichen Argumenten gar nicht im Sinne der entsprechenden Person ist. Vielmehr geht es um ein monologisches Senden von Informationen und Positionen. Gegenpositionen werden polarisiert und ins Extreme verkehrt.
Der öffentliche Diskurs fehlt. Nicht nur auf politischer Bühne. Dieses Phänomen zieht sich durch die gesamte Gesellschaft. Wer gegen eine Position argumentiert, wird – wie beim Boxen – in die gegnerische Ecke geschoben.
Der Internetblogger Sascha Lobo bezeichnet diesen Zeitgeist als „Entwederoderismus“. In seiner Kolumne auf Spiegel Online schreibt er (Zitat):

„Wann immer Kritik an einer Position geäußert wird, wird sie als Parteinahme der radikalstdenkbaren Gegenposition betrachtet“.

Also, wer A sagt, kann Z nicht meinen, aber wo bleiben eigentlich die anderen 24 Buchstaben?
Die verschwinden. Das ist auch viel bequemer so, schließlich ist der globalisierte Mensch mit dem Einsortieren der Informationsflut schon genug belastet. Bilder von Flüchtlingen, von Terroranschlägen, von Kriegen in nah und fern, da ist es doch viel einfacher, sich in bester Rudelmanier auf bereits bestehende Positionen fallen zu lassen. Jedes weitere Nachdenken macht schließlich auch Angst. Angst vor eben genau diesen Bildern und Informationen, die wir uns selbst gerne vorenthalten, weil sie verarbeitet werden möchten. Getreu dem Motto:

„Gegen Angst kommt man mit Fakten nicht an.“

Dieses Schwimmen im Meinungs-Mainstream hat zur Folge, dass berechtigte Sorgen, Ängste und Nachfragen, als extremistisch erstickt werden. So werden Menschen, die sich kritisch mit der Flüchtlingsfrage auseinandersetzen, sofort und unmittelbar als rechtsradikal in die Ecke gedrängt, fernab, ob sie tatsächlich und faktisch rechtsradikales Gedankengut verbreiten. Und umgekehrt werden Menschen, die sich kritisch mit Konsum und dem Wirtschaften konfrontieren, gleich als linksradikal gebrandmarkt.
Eine Entwicklung, die von modernen Politikern gerne aufgegriffen wird. Trump und Konsorten nutzen diese Magnetpol-Rhetorik gezielt aus, führen dabei noch eine simple, verständliche und einfache Sprache, die „Sprache des einfachen Mannes“ quasi. Da darf dann gerne mal ein andersdenkendes Gegenüber mit allerhand unflätigen Beschimpfungen tituliert werden, die durchaus nach dem Strafgesetzbuch ahndungswürdig sind. Hetzen ist angesagt. Diese Menschen nehmen uns die Meinungsbildung ab, weil die Entscheidung doch so einfach ist: entweder dafür oder rigoros dagegen. Dazwischen gibt es nicht.
Und die, die nachdenken? Die müssen sich selbst davon abhalten, im Kampf gegen das Schubladendenken nicht selbst zur „Schublade“ zu werden; müssen sich davon abhalten, sich selbst radikal zu polarisieren.
Der Politikwissenschaftler, Professor Thomas Kliche bringt die Folgen dieser Entwicklung auf den Punkt und darf mit der Prämisse zitiert werden, dass

„[…] wenn man lieber dreimal im Jahr Urlaub mache oder Dschungelcamp schaue, anstatt sich mit den simpelsten Grundlagen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu beschäftigen, sei es um die Demokratie nicht besonders gut bestellt“.

So werden wir es auch weiterhin mit Polarisierung und Lagerbildung in Politik und Gesellschaft zu tun haben. Und wohin die führen kann, sollte gerade bei uns Deutschen die Alarmglocken schrillen lassen; man denke nur an das Jahr 1933!
Sieht man davon ab, dass sich so manch Dichter und Denker bei der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung für sein eigenes Vaterland schämen und sich sprichwörtlich im Grabe ‘rumdrehen dürfte.

Quellen:

  1. SPIEGEL ONLINE, Sascha Lobo: “Entwederoderismus” http://www.spiegel.de/netzwelt/web/hass-im-internet-entwederoderismus-die-sprache-der-wut-a-1082563.html
  2. FOCUS ONLINE, “Psychologe fällt vernichtendes Urteil: ‘Deutsche leiden an Bequemlichkeitsverblödung’” http://www.focus.de/politik/wandel-der-gesellschaft-forscher-faellt-vernichtendes-urteil-leiden-an-bequemlichkeitsverbloedung_id_5313383.html