Um die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes verstehen zu können und in ihrer Tragweite begreiflich zu machen, bedarf es nicht nur einer gründlichen Aufarbeitung, sondern auch einer zielgruppengerechten und schonungslosen Darstellung. Die erst 2005 eröffnete KZ-Gedenkstätte Neuengamme kann mit letzterem nicht überzeugen.

Der folgende Blogbeitrag ist im Nachgang an einen spontanen Besuch der KZ-Gedenkstätte entstanden. Bitte bei meiner Wertung berücksichtigen.

Der anthrazitfarbene Schotter knirscht unter den Füßen. Die Sonne strahlt am Himmel, nur gelegentlich versteckt von ein paar Schäfchenwolken. Auf dem Feld nebenan blühen die Sonnenblumen. Vögel zwitschern, die angrenzenden Windräder drehen sich monoton im Wind. Wären da nicht die zahlreichen durch farbige Steine markierten Hinweise darauf, dass hier einst Baracken eines Konzentrationslagers standen, könnte man fast von einem idyllischen, norddeutschen Bellevue sprechen.

Blick über den Appelplatz und das alte Haftgebäude

Das einstige Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg war ein Ort des Schreckens, dessen unrühmliche Geschichte jedoch nicht mit Ende des Nationalsozialismus endete. Zwischen 1938 und 1945 litten mehr als 100.000 Opfer an den Gräueltaten des nationalsozialistischen Schreckensregimes, um die 50.000 Menschen wurden dort ermordert. Unmittelbar nach der Befreiung Deutschlands wurde das Lager von den britischen Besatzungstruppen als Internierungslager für mutmaßliche SS-Verbrecher genutzt. 1948 wurde das Gelände zurück an die Stadt Hamburg übergeben, die an diesem Ort die Justizvollzugsanstalt Vierlande eröffnete. Dabei nutzte man makabrerweise die ehemaligen Häftlingsblöcke 1 bis 4 und 21 bis 24 sowie Teile des SS-Lagers weiter. Neuengamme wurde somit zum Symbol für Geschichtsverdrängung und Vertuschung.

Dass das dortige Klinkerwerk — einem wichtigen Symbol für die hiesige Vernichtung durch Arbeit — überhaupt noch erhalten blieb, war einer breiten Öffentlichkeit zu verdanken, denn die Stadt Hamburg hatte eigentlich eine weitere Beseitigung von KZ-Überresten geplant. 1984 wurden die Reste der KZ-Gebäude unter Denkmalschutz gestellt, vielleicht eine frühe Initialzündung für die spätere Gedenkstättenerrichtung. Die heutige Gedenkstätte KZ Neuengamme wurde zum 60. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus im Mai 2005 eingeweiht.

Ehemaliges Klinkerwerk

Wer sich der Historie auch nur oberflächlich annimmt, wird unter dem Status Quo der Gedenkstätte zumindest einmal die Augenbrauen runzeln. Außerhalb der zumindest wochentags äußerst arbeitnehmerunfreundlichen Öffnungszeiten des Besucherzentrums und der Ausstellungsbereiche (Mo.-Fr. 9:30-16:00 Uhr, Sa./So./Feiertage je nach Monat entweder 12:00-17:00 oder 12:00-19:00 Uhr) wird man alleine gelassen mit einem Wirrwarr von scheinbar willkürlich aufgestellten Hinweistafeln. Diese sind zwar vorbildlich in den vier Sprachen englisch, deutsch, französisch und russisch ausgezeichnet, aber können in ihrer fachlichen Tiefe und Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema kaum überzeugen. Eine Vor-Ort-Auszeichnung eines Rundweges vermisst man völlig, ebenso ist in dem weitläufigen Gedenkstättengelände nur am Besucherzentrum ein Lageplan zu finden. Ebenfalls völlig unbegreiflich erscheint, warum der einzige, mittlerweile deutlich demolierte Tastplan für seheingeschränkte Menschen nicht am mutmaßlichen Startpunkt der Tour aufgestellt ist, sondern hinter den ehemaligen SS-Fahrzeugbarracken (mir leuchtet nicht ein, wie die Zielgruppe des Plans es überhaupt dorthin schaffen soll!?). Beim Besuch der Gedenkstätte wird man ergo zum Nutzen der „Neuengamme-App“ förmlich genötigt. Die Orientierung auf dem Gelände wird durch die schlechte Ausschilderung nicht gerade erleichtert und häufig wird man auf den Audioguide oder die App verwiesen.

Darstellung des ehemaligen Arrestbunkers

Zugegeben: bei dieser Betrachtung der Gedenkstätte muss Berücksichtigung finden, dass das Besucherzentrum sowie die Ausstellungen bereits geschlossen waren. Deren Qualität kann also nicht beurteilt werden. Möglich ist, dass beides noch deutliche Impulse setzt, die dort stattgefundenen Verbrechen einordnen zu können. Die Qualität und Emotionalität anderer Gedenkstätten, wie beispielsweise Dachau, lässt Neuengamme aber deutlich vermissen. Vermutlich ist dies dem Zeitgeist geschuldet, dass Historisches besonders deutlich erfühlt werden kann, wenn möglichst viele Exponate die Verbrechen und den Terror der Nationalsozialisten bildlich darstellen. Der Mensch lernt eben doch am ehesten über die visuellen Eindrücke.

Genau das ist das, was die Gedenkstätte KZ Neuengamme so schwach macht. Die Emotionalität eines Besuchs zeugt nicht ausreichend vom Grauen der Geschichte des Ortes. Vielmehr lehnt es an einen friedvoll präsentierten Park an, ein Bellevue im Ostens Hamburg. Und dieses fehlende Gefühl zeigt, dass in Neuengamme noch einiges zu tun ist. Das wird nötig sein, damit auch bei Sonnenschein und blühenden Sonnenblumen deutlich wird, welche Gräueltaten an diesem Ort wirklich passiert sind. In Anbetracht der aktuellen politischen Entwicklung und neuen Sympathien zu nationalsozialistischen Strömungen erscheint eine intensivere Darstellung innerhalb der Gedenkstätte für wünschenswert.