Dioramen sind Szenen in Schaukästen. Der Betrachter blickt durch eine Glasscheibe und taucht für den Moment der Betrachtung in eine andere Welt ab. Aber reicht diese Illusion für eine ganze Kunstausstellung? Die SCHIRN Kunsthalle in Frankfurt hat das Experiment gewagt.
Zugegeben. Auch dieses Mal habe ich mich von dem Bildmotiv einfangen lassen, das die neue Schau der Frankfurter SCHIRN Kunsthalle mittels umfangreicher Frankfurter Stadtwerbung anpreist. Das freundliche, aber stolz wirkende Tier, das in die gedachte Kamera des Werbeplakats lacht, erscheint wie eine Kreuzung aus Schaf, Steinbock und Widder gleichermaßen. Darunter der Hinweis: „DIORAMA. Erfindung einer Illusion“.
Nun ist es so, dass ich erst vor Kurzem mit einer falschen Erwartung in die SCHIRN Kunsthalle gestiefelt bin. Über die Ausstellung *PEACE und meinen verfehlten Geschmack hatte ich vor einigen Wochen bereits geschrieben. Trotzdem scheint mir das Tier auf dem Plakat zu suggerieren: „Komm‘ vorbei! Wegen mir alleine lohnt sich die Schau schon!“
Um zu verstehen, um was es der SCHIRN Kunsthalle mit der Ausstellung „DIORAMA. Erfindung einer Illusion“ geht, ist es essentiell zu verstehen, was eigentlich kunsthistorisch unter dieser Begrifflichkeit zu verstehen ist. Der Besucher wird aufgeklärt, dass „Szenen in Schaukästen vor einem halbrunden, bemalten Hintergrund, die der Betrachter durch eine Glasscheibt anschaut, […] als Dioramen bezeichnet [werden]“.
Das Diorama als Kunst- und Darstellungsform geht auf das 19. Jahrhundert und eine von Louis Daguerre erfundene Schaubühne zurück. Ursprünglich war sie abgedunkelt mit halbdurchsichtigem und beidseitig bemaltem Bühnenprospekt anzutreffen, entwickelte sich im Laufe ihrer Geschichte jedoch konstant weiter. Die Urtechniken der Dioramen sind auch heute noch im Theater- und Museumsbau präsent.
Beim Betreten der Ausstellung wird man gleich aus seiner Realität gerissen. Filmszenen aus dem Film „Night at the Museum“ (auf deutsch: „Nachts im Museum“) zerreißen sogleich die Grenze von Realität und Fiktion einer Museumswelt. Zu sehen sind Szenen, in welchen die von Ben Stiller gespielten Figur Larry Daley mit der im Filmmuseum ausgestellten Indianerin „Sacajawea“ zu sprechen versucht.
Um es vorab und etwas klischeehaft zu sagen: die Ausstellung „DIORAMA. Erfindung einer Illusion“ ist weder für sensible Tierliebhaber noch für Veganer etwas, denn das Diorama gilt als ein Standfuß der naturkundlichen Museumsdarstellung. Präparierte bzw. ausgestopfte Tiere sowie die plastischen Landschaftselemente und die naturgetreue Darstellung liefern die Illusion, welcher der Zuschauer erliegt. Und die sehr kann grausam sein.
Die Ausstellung zeigt aber auch, dass das Diorama als Kunstform des Sehens Dokumentation von Zeitgeschichte darstellt, die wirklichkeitsgetreu inszeniert und rekonstruiert ist. Das sorgt für Inspiration, denn viele Künstlerinnen und Künstler haben sich in ihren zeitgenössischen Arbeiten mit diesem Konzept von Sehen und Illusion auseinandergesetzt.
In der Qualität der Werke zeigt sich eine große Bandbreite des möglichen Spektrums von Diaramen. Als träumerische Strandlandschaft mit Sonnenauf- und -untergang sowie tosendem Vulkanausbruch, als Schaukasten von gesellschaftlichen Chaos und Abfalls, als träumerische Zukunftsvision oder als naturwissenschaftliche Dokumentation mit ihrer in sich gegebenen Grausamkeit. Diese Ausstellung schafft den Spagat einer gelungenen Präsentation einer selten zu sehenden Kunstform.
Dass den Besucher an der ein oder anderen Stelle die Grenzübertretung von Realität und Illusion geschmacklos vorkommen mag, muss in diesem Kontext eingeordnet werden. Denn das liegt nicht an der Kuration oder der Auswahl der Objekte, sondern schlichtweg einem anderen ästhetischen Verständnis davon, was als Motiv angenehm, akzeptabel oder gelungen erscheint. Die sich zerfleischenden Tiere sind das für manchen eben nicht mehr — auch wenn die Natur in ihrer Reinheit etwas anderes darbietet.
Wer die Ausstellung durchschritten hat und die zwei lebendigen Axolotls in einer besonderen Form des Dioramas begrüßt hat, wird wiederum mit einer Filmszene aus „Night at the Museum“ konfrontiert. Dieses Mal wirft der Protagonist Larry Daley einen Stein in das Diorama der lebendigen Sacajawea und befreit sie aus ihrem gläsernen Gefängnis. Welch schönere Metapher könnte es für die Sprengung der Grenze von Darstellung und Wirklichkeit geben.
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Fazit: Bei „DIORAMA. Erfindung einer Illusion“ handelt es sich um eine besondere Schau, die eine selten für eine Exhibition inszenierte Kunstform betrachtet. Sie ist sehr gut kuratiert und entführt einen mittels der dunklen Ausstellungsräume in eine konstante Illusion und dem damit verbundenen Zweifel des eigenen Sehens. Das für die Ausstellung werbende Schaf hat sein Versprechen gehalten. Sehenswert!
PS: Auch in der Rotunde der SCHIRN Kunsthalle wird das Motiv der Ausstellung fortgeführt. Auch das Kunstwerk von Philipp Fürhofer unter dem Titel „[DIS]CONNECT“ sprengt die Grenze von Illusion, eigener Wahrnehmung und dem eigenen Raumgefühl.
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