Selten zeigt eine Ausstellung so viele unterschiedliche Medienarten einer Künstlerin. Das Museum für Moderne Kunst Frankfurt hat mit der Ausstellung zu Rosemarie Trockel ein sehenswertes Meisterwerk geschaffen, das den Betrachtenden auf eine emotionale Reise schickt.

Auflehnerisch sind ihre Werke, gleichzeitig absurd und brutal. Alltagsgegenstände dienen zum Ausbruch aus Etablishment und Patriarchat. Gesellschaftliche Normen werden gebrochen – nicht zuletzt durch die gewaltige Ausdruckskraft ihrer Werksvielfalt. Das Museum für moderne Kunst Frankfurt zeigt noch bis zum 18. Juni 2023 eine umfangreiche Sammlung der Werke von Rosemarie Trockel — von den Anfängen in den Siebzigerjahren bis zu eigens für die MMK-Ausstellung gefertigten Arbeiten.

Die Besucher*innen erwartet eine hervorragend inszenierte Werkschau, bei der sich die kantigen und winkligen Ausstellungsflächen des MMK zu einer Spielfläche von Trockels Auseinandersetzung mit Gesellschaft, Natur und Zeit formen. Die Wuchtigkeit der Exponate ergibt sich durch die Medien- und Materialvielfalt der Künstlerin: der Status Quo wird gezielt von Zeichnungen, Fotografien, Malereien, Skulptur, Film und raumfiligranen Installationen seziert.

Eingangshalle des MMK Frankfurt: Besucher tummeln sich um das Werk Prisoner of Yourself
Eingangshalle des MMK Frankfurt: Besucher tummeln sich um das Werk „Prisoner of Yourself“

Das große lichtdurchflutete Atrium, das Besucher*innen der Ausstellung begrüßt, beinhaltet zwei titelgleiche Werke. Der Titel „Prisoner of Yourself“ wurde von Rosemarie Trockel bereits 1998 vergeben, bevor er 2016 erneut auftauchte. Das Werk von 1998 besteht aus einem Siebdruck, der direkt auf die Raumwand aufgetragen wird. Es ist eine Reminiszenz an Trockels Strickbilder, mit denen sie eine klischeehaft „weibliche“ Kulturtechnik in den antipatriarchalischen Kampf eingeführt hat. Das damit kombinierte Werk aus 2016 wird von der Schwere bestimmt. Kräftige, grobe Kettenglieder konterkarieren den Kontrast aus den zuvor eingebrachten Strickfäden und zeigen die gesellschaftliche Parallelität.

Rosemarie Trockel hat auch getuschte Affenköpfe gemalt
Rosemarie Trockel hat auch getuschte Affenköpfe gemalt

Wer sich konseuquent durch die drei Etagen des MMK arbeitet, wird von einer unwirklichen Fülle von Materialien erfüllt. Stellt man im frühen Wirken die Dominanz von Stoffen, Strick und Textilien fest, entfaltet sich über Trockels Lebenswerk die gesamte Palette der bildenden Kunst. Installationen mit Keramik, Fotografien, getuschte Bilder, Elektronik, Film und vieles mehr. Das Potpourri wird somit nicht nur Ausdruck von gesellschaftlicher Normung, sondern gleichwohl auch zum Showcase von Zeitgeschichte. So lassen sich auch Trockels Affenportrait-Zeichnungen entsprechend in Phasen einteilen. Die Serie „Hoffnung“ von 1984 ist geprägt von Freundlichkeit und positiven Gesichtsausdrücken der friedvollen, aber vom Aussterben bedrohten Primaten, die Blickkontakt suchen. Ganz gegensätzlich zu den Bildern der Reihe „Gretchenfrage“ aus dem gleichen Jahr. Übertriebenes Grinsen, bizarr hervorstehende Zähne und ein absoluter Ausdruckswechsel machen klar, dass hier der Widerspruch von den freundlichen Naturwesen hin zu Labortieren herausgearbeitet wurde.

"Die Brutalität wie Absurdität normativer Ordnungen tritt im Werk von Rosemarie Trockel offen hervor. Definitionen, Einschränkungen, Bevormundung und Gewalt aufgrund von Gender werden sichtbar und durchschaubar. Mutig, wehrhaft, riskant und komisch ist ihre Vorangehensweise."

Begleitheft zur Ausstellung Rosemarie Trockel im Museum für Moderne Kunst Frankfurt

Mit dem mehrteiligen Werk „Anonymous“ steuert Rosemarie Trockel auch ein brandaktuelles Werk bei. Es zeigt Vladimir Putin als Gefangenen mit typischer Häftlingsnummer in zwei der insgesamt zehn Platten. Acht weitere Platten zeigen Witwen, die vermutlich ihren Lebenspartner im Rahmen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verloren haben. Die als Polyptychon gestalte Collage erinnert an Andy Warhol mit seinen „Most Wanted Men“ und erregt mitfühlende bis hin zu negativen Emotionen beim Betrachter.

Trockel hat auch aktuelle Werke zu Ihrer Schau hinzugefügt
Trockel hat auch aktuelle Werke zu Ihrer Schau hinzugefügt

Rosemarie Trockel ist längst eine feste Größe im Kunstbusiness, die sich mit den großen Namen zeitgenössischer Künstler*innen misst. Ihr Werk zeigt eine groteske Schöpfungskraft und Ausdrucksstärke. Die Auswahl der Exponate im Museum für moderne Kunst Frankfurt ist hervorragend gelungen, thematisch fein abgestimmt und weitaus mehr als eine Geburtstagsausstellung zum 70. der Künstlerin. Die drei gestalteten Etagen zeigen die intensive Auseinandersetzung und Ablehnung des gesellschaftlichen Status Quo und die Emanzipation aus Überkonsum, konservativen Patriarchat und die Verarbeitung des Holocaust. Die Austellung ist ein Must-see für die Kunst-Wintersaison 2022/2023.

So stark die Ausstellung zu Rosemarie Trockel auch ist, hätte sie zwei Dinge nicht gebraucht: erstens die überladene Eröffnungsveranstaltung mit benehmensschwachen Menschen, auf deren Lernkurve im Studium der Werke man hofft und zweitens die schwache Auszeichnung der Werke in der Ausstellung. Wer auf den Papierführer und die nervigen DIN A4-Einzelpläne in der Schau verzichten mag, wird informationsseitig total im Regen stehen gelassen. Schilder sind nur unregelmäßig vorhanden und hängen an Orten, wo man sie größtenteils einzelnen Werken nicht zuordnen kann.

Die Ausstellung von und über Rosemarie Trockel ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr und mittwochs von 11 bis 19 Uhr geöffnet. Tickets sind ab 12 Euro zu haben, ermäßigte Tickets ab 6 Euro. Bis zum 18. Juni 2023 müssten Sie die Schau gesehen haben. Mehr Informationen gibt es beim MMK Frankfurt.