Das ZDF hat sich zum 80. Jahrestag der Wannseekonferenz an eine Neuverfilmung dieses historischen Ereignisses gewagt. Unter Regie von Matti Geschonneck sind 104 tiefgründige Minuten Dokumentation entstanden, deren Simplizität dem Besucher durch Mark und Bein gehen.

Ein Saal. Fünfzehn Sitzplätze in U-Bestuhlung. Verschiedene Funktionsträger. Wer die Kulisse des ZDF-Films „Wannseekonferenz“ in den ersten Minuten wirken lässt und die klare Uniformität der Nazis aus dem Kontext reißt, könnte das, was der Zuschauende wahrnimmt als ein klassisches Projektmeeting empfinden. Das Perfide: in bürokratischer Atmosphäre wird hier die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen.

Zum 80. Jahrestag der Wannseekonferenz hat das ZDF einen Film aufgelegt, der die Wannseekonferenz nachspielt. Das ZDF selbst spricht von einer Dokumentation. Der Fakt, dass der Film gänzlich ohne erklärende Voice-over-Stimme oder Musikeinspielungen auskommt und von Beginn bis Ende schauspielerisch auf der Wirklichkeit basiert, unterstreicht dies definitorisch, gefühlt schauen sich die 104 Minuten jedoch wie ein Spielfilm des Genres Horror. Grundlage des Films war das Protokoll der am 20. Januar 1942 mit Beginn um 12:00 Uhr stattgefundenen „Besprechung mit anschließendem Frühstück“ in der Dienststelle der Internationalen Kriminalpolizeilichen Kommission in der Villa am Großen Wannsee.

Im Konferenzraum: Die Besprechung beginnt. Foto: ZDF und Julia Terjung

Der Film kommt von Beginn an, als Adolf Eichmann (gespielt von Johannes Allmayer) Namenskärtchen auf die einzelnen Sitzplätze verteilt, bis zur Endszene mit dem im Auto davonfahrenden Reinhard Heydrich (gespielt von Philipp Hochmair) ohne jegliche Effekthascherei aus. Keine eingeblendeten Original-Filmdokumente, keine Bilder von den unzähligen Toten oder dem Leid der Menschen, keine „Wochenschau“-Propaganda und keine Musik. Und dennoch wirkt der Film nachhaltig tief, bleibt schwer verdaulich und lässt einen die grausame Maschinerie erahnen, mit der die Nationalsozialisten den Völkermord bürokratisiert haben.

"Was im November noch verboten war, ist im Dezember erlaubt. Also bitte."

Dr. Alfred Meyer, gespielt von Peter Jordan

Genau diese Bürokratisierung des Holocausts ist es auch, die den Zuschauenden am Mark packt. Denn von Mord oder anderen Gräueltaten ist nicht einmal in dieser Deutlichkeit die Rede, stattdessen prägt die Konferenz zynische Prozessfloskeln wie „Einwaggonieren“, „Sonderbehandlungen“, „natürliche Verminderung“, „Evakuierung in die Endlösungsräume“ oder „das Wegarbeiten“. Der Völkermord als Wortschöpfungskette, dazu Lachshäppchen und Filterkaffee in den Besprechungspausen.

Wenig moralische Gegenwehr. Während der Konferenz im Besprechungsraum:
Dr. Wilhelm Stuckart (Godehard Giese,. l) und Martin Luther (Simon Schwarz, r.). Foto: ZDF und Julia Terjung.

Regisseur Matti Geschonneck gelingt es, sein eigenes Gefühl hervorragend in den eigentlich steril aufgesetzten Film einzuweben. Er erklärt:

„Das für mich Erschreckende an dieser anderthalbstündigen Versammlung hochrangiger NS-Funktionäre, größtenteils studierte Juristen, war die Selbstverständlichkeit dieses Vorgangs, die den Charakter einer Produktionsbesprechung hatte – Zusammenarbeit und Koordination der beteiligten Instanzen, Festlegung des Zeitablaufs, Eingrenzung der Opfergruppen, die Suche nach erträglicheren Methoden des Mordens – erträglicher für die Mörder. Moralische Bedenken von Seiten der Teilnehmer gab es keine.“

"Die Endlösung der Judenfrage ist ja nur ein Baustein in der geplanten Neuordnung Europas. Langfristig sprechen wir von der Entfernung aller niederrassigen Volksgruppen aus unserem Einflussbereich."

Otto Hofmann, gespielt von Markus Schleinzer

Die unglaubliche Kraft dieses Films liegt zum einem in seiner Schlichtheit und Zurückhaltung, zum anderen im Fehlen eines Subtexts. Der Film dokumentiert durch Schauspiel, ergänzt Lücken im Protokoll durch Interpretation, hat eines aber nicht: keine Botschaft, kein Appell. Er steht für sich allein, spricht durch hervorragendes Schauspiel, das keinem filmischen Naziklischee erliegt, sondern durch die Nüchternheit der Personen, die die perfide Mordmaschinerie wie einen Produktionsprozess steuern und lenken: als Schreibtischtäter hinter den vorderen Promi-Nazischergen wie Hitler oder Himmler.

Hervorragendes Schauspiel: Reinhard Heydrich (Philipp Hochmair), Chef des Reichssicherheitshauptamts, Chef der Sicherheitspolizei und des SD. Foto: ZDF und Julia Terjung

Produzent Oliver Berben und Constantin Film ist eine legitime Verfilmung eines unfassbaren historischen Ereignisses gelungen. Das Schauspiel ist herausragend, unaufgeregt, dennoch unfassbar feinfühlig und gibt einen Einblick in die Kaltschnäuzigkeit des Apparats. Die 104 Minuten lassen einen sprachlos zurück, beschäftigen einen und zwingen einen dazu, vereinzelte Passagen erneut zu schauen – aus Unsicherheit wirklich das sprachlich erfasst zu haben, was besprochen wurde.

Wer wenig bis kaum über die Wannseekonferenz weiß, bekommt einen Geschmack davon, wie durchdacht die Nazi-Mordmaschinerie wirklich war. Wer den Hintergrund kennt, kriegt eine hervorragende Aufarbeitung des 16. Protokollabschriebs als einzig erhaltene schriftliche Dokumention der Konferenz. Für alle gilt jedoch gleichermaßen: dies ist ein Film, den man unbedingt gesehen haben sollte.

Der Film ist in der ZDF-Mediathek abrufbar. Länge 104 Minuten.

Darsteller:

  • Reinhard Heydrich: Philipp Hochmair
  • Adolf Eichmann: Johannes Allmayer
  • Dr. Eberhard Schöngarth: Maximilian Brückner
  • Erich Neumann: Matthias Bundschuh
  • Dr. Gerhard Klopfer: Fabian Busch
  • Heinrich Müller: Jakob Diehl
  • Dr. Wilhelm Stuckart: Godehard Giese
  • Dr. Alfred Meyer: Peter Jordan
  • Dr. Roland Freisler: Arnd Klawitter
  • Dr. Rudolf Lange: Frederic Linkemann
  • Friedrich Wilhelm Kritzinger: Thomas Loibl
  • Dr. Josef Bühler: Sascha Nathan
  • Otto Hofmann: Markus Schleinzer
  • Martin Luther: Simon Schwarz
  • Dr. Georg Leibbrandt: Rafael Stachowiak
  • Ingeburg Werlemann: Lilli Fichtner
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