Audiotext zum Nach- und Mitlesen:

Rio 2016 ist Geschichte. Und ganz ehrlich: es waren grauenvolle Spiele, Spiele zum Abgewöhnen. Nun ja, hier sind sie meine besonderen Olympia-Momen… [stöhnen]; hier ist meine Olympia-Abrechnung.

Der Hashtag-Affront

Darf ich hier eigentlich Olympia sagen? Oder stehe ich schon mit einem Bein im Gefängnis? Bevor Rio 20… [Zensurton] — oh, das darf ich ja gar nicht sagen — mmm. Bevor Olymp… [Zensurton]. Ach, Mist, das ja auch nicht. Also bevor die weltumfassende, in Brasilien stattfindende Sportgroßveranstaltung überhaupt begann, da gab’s schon richtig Ärger. Bloß nicht die falschen Hashtags beim Posten verwenden. Das IOC machte hier die Fronten klar: wer nicht reichlich Geld bezahlt hat, der hütet sich besser, den Hashtag #Rio2016 zu verwenden. Also Journalisten dürfen eigentlich schon, aber auch nur im Kontext der Berichterstattung. Also das Selfie [Fotogeräusche] aus einem Stadion könnte ja dann schon wieder Selbstvermarktung [Kassengeräusch] sein… Mmmm… Thomas Bach und Konsorten hätten wir aber dankbar sein müssen. Schließlich hat das IOC schon vor den Spielen durchblitzen lassen, dass in Rio die Kommerzialisierung des Sports auch eine sehr hässliche Fratze trägt. [Gehässiges Lachen]

Olympia-Muffel

Wo war eigentlich die deutsche Politik bei Olympia? Ähhhm… Frau Merkel, Herr de Maiziere, Herr Bundespräsident, hallo? Ziemlich schwach, was unsere Bundesregierung da abgeliefert hat. Beziehungsweise, was sie in Rio nicht abgeliefert hat. Kein Spitzenpolitiker dieser Bundesregierung vor Ort. Nun ja, irgendwie ja auch verständlich. Mit IOC-Präsident Bach will man ja schließlich auch nicht unbedingt auf’s gemeinsame Foto. Nichtsdestoweniger alles in allem ziemlich respektlos den deutschen Athleten gegenüber. Immerhin Bundespräsident Gauck gab dann doch noch ein Stelldichein – auf dem Frankfurter Römerberg beim Empfang der deutschen Sportler zu Hause.

Wenig hat funktioniert…

…bei diesen Olympischen Spielen. Vieles versank im organisatorischen Chaos. Halbleere Stadien, ewig lange Zuschauerschlangen an den Einlässen, für die Sportler Schwierigkeiten im Transport zu den Arenen. Eine Kamera stürzt herab, verletzt zwei Zuschauer. Pleiten Pech und Pannen an jeder Ecke in Rio. „Grenzwertig“ nannte Goldturner Fabian Hambüchen Ablauf und Atmosphäre bei diesen Spielen, die Athletensprecherin der deutschen Olympiamannschaft, Martina Strutz, fand deutlichere Worte: „Viele sagen, das sind die schlechtesten Spiele, die wir je hatten.“ Mmm. Ob schlecht oder „bescheiden“, wie manch Sportkommentator Rio 2016 zu bewerten wusste, Fakt ist, dass diese Olympischen Spiele am Größenwahn der Funktionäre gescheitert sind. Und wenn es ein Symbol für eine krankende olympische Bewegung gibt, dann das umgekippte, grüne Wasser der Turmspringer und Wasserballer. [Platschgeräusch] [Stimmgeräusch mit Ekelgefühl]

Schunkeln zur Nationalhymne

Christoph Harting holte überraschend Gold in Rio im Diskuswerfen. Also wieder Gold für Familie Harting. Soweit so gut! Bloß was war das für ein Auftritt bei der Siegerehrung? Schunkeln bei der Nationalhymne? Arme verschränkt? Das geht natürlich gar nicht, denn schließlich ist Harting Deutscher und da herrscht Ordnung bei der Siegerehrung! „Arrogant und peinlich“ musste sich der 25-Jährige nachsagen lassen und schob prompt tags darauf eine sehr fragwürdige Entschuldigung in den Medien hinter her. Wenn da mal nicht der Dienstherr ein Machtwort eingelegt hat, denn der ist schließlich die Bundespolizei [Martinshorngeräusch]. Alles künstliche Aufregung, denn Hartings lockere Art zeigt, dass es sie noch gibt, die „Typen“ im Sport.

Marketing siegt

Ja, ja, die „Typen“ im Sport. Die gibt es natürlich auch andersherum. Nämlich die, die vom Mittelmaß her auffallen. Anna und Lisa Hahner zum Beispiel. Ihres Zeichens Marathonzwillinge für Team Deutschland. Glorreiche Plätze 81 und 82 in Rio und trotz alledem in aller Munde. Liefen trotz des schlechten Ergebnisses medienwirksam Hand in Hand über die Ziellinie. „So machen die Hahner Zwillinge mit Mittelmaß Kasse“, unkte die Welt und verwies auf das geschickte Selbstmarketing der beiden, die mit Unterstützung ihrer Agentur tatsächlich recht erstaunliche Reichweitenwerte erzielen. Und zudem, sagen wir es doch ganz offen, sehen sie sehr, sehr gut aus. [Geräusch eines Mannes der einer Frau nachpfeift] Also jetzt mal im Ernst… warum müssen sich die beiden rechtfertigen, dass sie auf den Vermarktungszug aufgesprungen sind? Wir sprechen von schlechter Spitzensportförderung, die vielen nicht einmal die Lebensgrundlage beschert und sprechen ihnen gleichzeitig das Recht zur Vermarktung ab? Ist das nicht feinste Bigotterie, Sportdeutschland?

Unterste Schublade

Islam El Shehaby heißt ein Judoka aus Ägypten. Und der muss sich gefallen lassen, nicht nur als schlechter Sportsmann tituliert zu werden, sondern wird in die Annalen von Rio als der Mann eingehen, der ein fatales Signal gesetzt hat. Eine Szene, die die Werte des Sports und den Geist der Olympischen Spiele mit Füßen getreten hat. Was war passiert? Nachdem er seinen Kampf gegen den israelischen Judoka Or Sasson verlor, verweigerte er seinem Gegner den obligatorischen Handschlag. Eine schlimme Szene. Sekundenlang ignorierte er die Hand seines Gegners. Im Nachhinein wurde El Shehaby dafür dann von seinem Heimatverband nach Hause geschickt. IOC-Sprecher Mark Adams fand die richtigen Worte dazu: „Diese Form der Ausgrenzung wollen wir bei Olympia nicht sehen. Wir wollen keine Mauern bauen, sondern sie einreißen.“ Es war im Übrigen der zweite Eklat in dieser – vermeindlich politischen – Richtung, nachdem sich libanesische Athleten zuvor weigerten, mit israelischen Athleten einen gemeinsamen Bus für die Fahrt zu den Wettkampfstätten zu besteigen.

Ganz viel Buh!

Seien wir ehrlich. Die brasilianische Mentalität mag Feuer haben, mag Leidenschaft haben, aber sie hat zu Olympia auch reichlich Sportsgeist vermissen lassen. Zumindest mal einiges an Fair Play. Symptomatisch dafür die Szenen bei der Siegerehrung im Stabhochsprung. Obwohl die Goldmedaille bereits nach Brasilien ging [einsetzendes Publikumsbuhen], buhte das Publikum den Silbermedaillengewinner aus Frankreich, Renaud Lavillenie, so lange aus, bis dieser seine Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Es sollte nicht der einzige Moment mangelnden Respekts bleiben: bei fast allen Ballsportarten, sogar beim sonst so disziplinierten Tennis, ja sogar beim Bogenschießen: die Brasilianer zeigten deutlich, dass sie den olympischen Gedanken verfehlt haben. Gewöhnungsbedürftig allemal, schade, wenn nicht sogar kräftig daneben.

Am Ende

Deutschland braucht die Sportreform! Die Spitzensportförderung ist am Ende und braucht eine Neuausrichtung. Das machte Rio 2016 wieder ganz deutlich klar. Dabei sprachen nicht nur die blanken Ergebnisse für sich. Sondern auch die Stimmen der Sportler, die immer lauter werden. Zum Beispiel die von Schwimmer Philip Heintz, der gar mit 25 Jahren schon sein Karriereende in Aussicht stellte. „Wer wird denn für 700 Euro im Monat Vollprofi?“ fragte er provokativ die Medienvertreter. Oder aber Gold-Kanute Max Rendschmidt, der subsummierte: „Es ist armselig, was in Deutschland passiert. Wir heben jedes Mal bei Olympia alle vier Jahre den Medaillenschnitt deutlich an. Und dann gehen wir der Öffentlichkeit wieder am Arsch vorbei.“

Fazit

[Stöhnen] Es waren Olympische Spiele zum Abgewöhnen! Der olympische Geist war in dem, was beim Zuschauer vor dem Fernseher ankam, nicht spürbar. Der Funke, er wollte einfach nicht überspringen. Gründe dafür gab es zahlreiche… Vielleicht stand Rio schon vor Beginn der Spiele unter keinem guten Stern. Sei es durch die ewige Debatte um das russische Staatsdoping, um das finanziell ausgelutschte Gastgeberland oder durch den Größenwahn des IOC und die mangelnde Nachhaltigkeit für Rio? Oder aber auch, weil so vieles in die Binsen ging, während IOC-Spitzenfunktionäre aus teuren Luxushotels heraus ihren Weg in das lokale Gefängnis genommen haben, Stichwort Ticket-Schwarzmarkt? Stundenlang ließe sich jammern, warum diese Spiele keinen Spaß gemacht haben, wären da nicht die vielen Hoffnungsschimmer in Form der Athleten, die fantastischen Einsatz gezeigt haben, die uns überrascht haben, mit denen wir mitgelitten haben, die einfach alles, alles gegeben haben! Sie sind der Trost, den wir brauchen, um uns auf die nächsten Sommerspiele 2020 in Tokio zu freuen.