Audiotext zum Nach- und Mitlesen:
Griechenland-Krise, Ukraine-Krieg, Flüchtlingsdramen und wackelnde Börsen… das derzeitige Weltgeschehen: es birgt einiges an Zündstoff. Politische Baustellen und Konflikte gibt es genügend auf der Welt, gibt es genügend in Europa und gibt es genügend bei uns in Deutschland. Aber stellen wir uns auch tatsächlich diesen Problemen mit der nötigen Weitsicht und Demut?
Ich finde nicht.
Gerade erst heute, an diesem 13. Juli haben sich die EU-Politiker auf ein weiteres Maßnahmenpaket zur Griechenland-Rettung verständigt. Mit am Verhandlungstisch in einer Führungsrolle: die deutsche Bundesregierung. Nun mag man das Drama um Griechenland und einen möglichen „Grexit“ beurteilen, wie man will. Nichtsdestoweniger bleibt ein fader Nachgeschmack. Und der liegt im Wirken und Auftreten der deutschen Volksvertreter, die am Gedanken einer europäischen Solidargemeinschaft vorbei, nationale Monetärinteressen über ein gebeuteltes griechisches Volk stellen. Und das lassen sie selbiges auch mehr als deutlich, gar erhoben-arrogant spüren.
Und deutsche Bürger stimmen kräftig mit ein.
„Die Griechen verheizen unsere Steuergelder“,
ist nur eine der Parolen, die in den sozialen Netzwerken die europäische Spaltung weiter anfeuern.
„Warum soll ich denn für die bezahlen? Bezahlen die denn für mich?“
– das ist sie, die typische Makulatur, die Alltagspolemik, zumeist anonym im Internet verbreitet, manchmal auch an den Stammtischen dieser Republik.
Und es ist nicht der einzige Zusammenhang, in dem diese spezielle Form des Parolendreschens seine Auslebung erfährt. Viele andere Themenfelder sind längst erschlossen worden, einige mit reichlich egoistischer Grobmotorik, andere mit gefährlichen, teils schwer nationalistischen Ansätzen. Was mit der „Alternative für Deutschland“ noch basisdemokratisch anmutete, gipfelte zuletzt in rechten Strömen wie PEGIDA und fand im Anzünden von Flüchtlingsheimen einen neuen unrühmlichen, braunen Volkssport.
Das Credo
„Wir wollen behalten, was wir haben“
öffnet Tür und Tor für die Salonfähigkeit eines neuen Nationalismus. Deutschland ist ja schließlich wer, steht wirtschaftlich hervorragend dar, und das aus eigenem Antrieb, bietet Arbeitsplätze und Wohlstand gepaart mit einem friedlichen Zusammenleben.
Dieser neue Nationalismus wird teils hinter vorgehaltener Hand ausgelebt, gerne mit Textbausteinen wie
„Ich habe nichts gegen Ausländer, aber“
oder
„Ich gehöre nicht mehr der Kriegsgeneration an, ich kann doch wohl meine Meinung sagen“.
Teilweise wird er aber auch mit rechtsradikaler Brutalität öffentlich und ungehindert ausgelebt, es seien nur Ortschaften wie Freital und Tröglitz genannt.
Man könnte zahllose andere Beispiele aufzählen. Neben der „Griechenland-Krise“ und der Flüchtlings- und Asylproblematik, zählen auch generelle Themen wie unsere gegenwärtige Wirtschaftsweise, unser Verständnis von Marktwirtschaft oder unser Konsum- und Umweltverhalten zu den kleinen oder großen Nachhaltigkeitsverbrechen.
Deutschland verändert sich zum Negativen und das übt in mir einen sehr großen, mentalen Brechreiz aus.
Denn es ist ausgerechnet dieses Land, diese deutsche Nation, die selber nach dem eigens verursachten 2. Weltkrieg einen Schuldenschnitt brauchte. Es ist Deutschland, das schuldig an millionenfachen Kriegsverbrechen ist und in einer beispiellosen Ironie von Gastarbeitern wieder mit aufgebaut wurde. Dieses Deutschland, das jetzt Kriegsflüchtlingen zum Beispiel aus Syrien, die größtmöglichen bürokratischen Steine in den Weg legt. Es ist das Deutschland, das sich gegen Finanzhilfen in der Europäischen Gemeinschaft sträubt, einer Solidargemeinschaft wohlgemerkt, die uns unter anderem durch unsere Exporte überhaupt erst diesen Wohlstand ermöglicht hat.
Was uns Deutschen in diesen Stunden fehlt, ist das Bewusstsein für unsere eigene Geschichte. Und ein europäisches Feingefühl und Gemeinschaftsdenken, dass sich weg vom Motto
„Selbst dran schuld“
hin zum Credo
„Lass es uns schaffen“
orientiert.
Und ein demütiger Blick in den Spiegel. Denn der würde uns ein momentanes Bild zeigen, für das wir Deutschen uns aus tiefstem Herzen schämen müssten.
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