Isreal gedenkt heute ab Sonnenuntergang Jom haScho’a, dem Feiertag der an den Holocaust und die schlimmsten Verbrechen der Naziherrschaft erinnert. Ein Tag des Gedenkens, der auch 2023 noch höchst aktuell erscheint.
Es gibt Tage, da muss man sich quälen. Das Wetter düster, der Nieselregen nervig und die Gedanken liegen eigentlich ganz wo anders. Heute ist so ein Tag. Aber das Mantra „Ehrenamt ist Ehrenamt“ hilft mir, die Schwelle von Alltagsträgheit zur Aktivität zu überwinden.
Es ist Jom haScho’a, der israelische Nationalfeiertag und Gedenktag für die Opfer der Schoah (des Holocausts) und des jüdischen Widerstands gegen die Judenverfolgung durch Hitlerdeutschland. Das bedeutet in Frankfurt traditionell einer von zwei Tagen im Jahr, an dem die Stolpersteine im Stadtgebiet wieder auf Hochglanz geputzt werden.
Das Sofa lockt, die Tiefkühlpizza auch. Und überhaupt war der Arbeitstag bereits anstrengend genug. Das Zusammenpacken meines Putzeimers fällt mir dann aber plötzlich leichter, als ich über die alltäglichen Rassismen nachdenke, die in Deutschland Tag für Tag den Alltag beherrschen. Vom kleinen „Ausländerwitz“ bis hin zur offensichtlichen Rechtsradikalität. Fanatismus und Faschismus sind in Deutschland noch tief verankert. Denn auch nach Fall des NS-Regimes sind Faschisten nie aus den Ämtern, Gerichten, der Polizei, schlicht aus der gesamten Gesellschaft verschwunden. Das „verankert“ im Vorsatz erscheint mir persönlich fast schon verniedlicht, denn Nazis haben sich wieder bis ins deutsche Parlament vorgefressen. Sie rekrutieren fleißig ultrarechten, tiefbraunen Nachwuchs. Ich höre meine liebe Großmutter noch seufzen, die mir schon in den 90er-Jahren in den Ohren lag, dass sich eine Nazizeit sehr wohl wieder wiederholen könne. Das ist nicht abwägig, denn jeder 8. würde in Deutschland derzeit Nazis wählen. „Wir sind doch keine Nazis, nur weil wir ‚AfD‘ wählen!“ Doch, seid Ihr!
Und schon knie ich über dem ersten Stolperstein. Ich schrubbe voller Wut, zerquetsche den Schwamm beim Bohnern, spüre wie das Metallreinigungsmittel meine Fingerkuppen auffrisst. Aber das ist mir egal! Denn es braucht diese Erinnerung einfach! Als an der vierten Stolperstein-Stelle, an der ich putze, eine Frau auf mich zukommt, weiß ich, warum ich mir heute die Knie aufscheuere.
Während ich ins Putzen des Stolpersteins von Gustav Isaac vertieft bin, höre ich diese warme, sanfte Stimme. Ich drehe mich um erblicke eben diese hochgewachsene, schlanke Frau, die mich freundlich anschaut. Sie sagt: „Danke, dass Sie das machen! Ich bin Jüdin und weiß, was das bedeutet.“
In diesem Moment erblüht die Schamesröte in mir und es scheint absolut absurd, dass ich nur eine Sekunde darüber nachgedacht habe, den Putzschwamm mit einer Tiefkühlpizza und der Couch zu tauschen.
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