Eigentlich gäbe es am 16. März 2022 Grund zu feiern: denn es ist mein 40. Geburtstag. Aber der Krieg in der Ukraine überschreibt sämlichen positiven Duktus. Gedanken zu einem Überfall, der nicht in diese Zeit passt.

Eigentlich sollte ich ein Papphütchen tragen. Oder eine Tröte spielen. Mit Konfetti werfen oder eine Torte anschneiden. Aber nach Feiern ist mir nicht. Nicht einmal ob des runden Geburtstages. Ich war noch nie ein Mensch, der die Notwendigkeit besaß, das Datum seines ersten Atemzuges auf diesem Planeten zu feiern. Aber dieses Jahr dreht sich beim Gedanken an eine Party förmlich der Magen um.

Seit 21 Tagen herrscht Krieg. Und das nur 1.500 Kilometer von meiner sicheren Wohnung in Frankfurt am Main entfernt. Mit dem Überfall der Russischen Föderation in das Staatsgebiet der Ukraine am 24. Februar 2021 ist eine für mich bislang unantastbar geglaubte Serie eingerissen worden: ich habe 40 Jahre lang ein Europa in Frieden erlebt.

Und nun schaue ich zu. Ich schaue zu, wie Menschen sterben. Wie sie vertrieben werden, wie Bomben einschlagen, wie Familien auseinandergerissen werden und weinen. Ich schaue zu im Fernsehen, ich bin hautnah dran in den sozialen Medien und frage mich, was Fiktion ist, was Propaganda, was Wahrheit. Und während ich schaue fallen weitere Bomben, sterben weitere Menschen. Für was? Das kann ich nicht mal erklären.

Die Fragen, die ich mir stelle, sind einerseits naiv und einfach, andererseits komplex und stellen mich vor unlösbare Gedankenspiele. Warum greift niemand ein? Wenn ein Kind dem anderen unbegründet die Schippe im Sandkasten wegnähme, würden wir dann nicht auch intervenieren? Alleine aus dem Gefühl von Fairness und Gerechtigkeit heraus? Warum verteidigen wir nicht das Territorium der Ukraine, wie sich das ein autarkes, demokratisches und mündiges Volk es wünscht?

Ist das Vermeiden eines Weltkrieges das Opfer einer unabhängigen Ukraine wert? Müsste das klare Votum vom 2. März 2022 vor den Vereinten Nationen nicht Grund genug sein, im Weltkollektiv zu handeln? Warum beenden wir nicht in einer solidarischen Kraftanstrengung ad-hoc und mit klarer Signalwirkung die Energieabhängigkeit von Öl und Gas? Und wie will man aus diesem barbarischen Überfallszenario wieder aussteigen? Wie will Putin ohne Weltkrieg oder innerrussischen Putsches gesichtswahrend aus dieser Situation kommen?

Es ist dieser Fragenkatalog, der derzeit mein Leben bestimmt. Jede Schlagzeile, die das Leid der ukrainischen Opfer und Geflüchteten paraphrasiert, brennt sich in mein Gedächtnis ein und verwandelt die eigene Handlungsohnmacht in eine gefühlte Mittäterschaft. Denn die blanken Zahlen sprechen für sich: über drei Millionen Menschen sind in die Flucht getrieben worden. Mutmaßlich über 15.000 Menschen haben in diesem Konflikt bereits ihr Leben gelassen. Da bleibt kein Raum für Papphütchen oder Konfetti.

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