Deutschland erlebt eine beispiellose Polarisierung des öffentlichen Diskurses. Doch während oft die Extreme als treibende Kräfte dieser Spaltung identifiziert werden, fällt eine andere Dynamik ins Auge: Die Parteien der Mitte lassen sich in einem gefährlichen Spiel treiben. Statt sich auf ihre eigentlichen politischen Ziele zu konzentrieren, sind sie zunehmend damit beschäftigt, sich von der sogenannten Alternative für Deutschland (AfD) abzugrenzen – oft auf eine Art und Weise, die dem politischen Diskurs insgesamt schadet.

Die Spaltung der gemäßigten Bürger:innen

Es ist paradox: Gerade die Kräfte, die für eine gemäßigte, ausgewogene Politik stehen, tragen ungewollt zur weiteren Spaltung der Gesellschaft bei. Während in den vergangenen Jahren ein breiter demokratischer Konsens darüber bestand, extremistischen Positionen keinen Raum zu geben, hat sich der Fokus verlagert. Immer häufiger bestimmen Reaktionen auf die AfD die politische Agenda, anstatt dass es um die sachliche Auseinandersetzung mit den drängenden Problemen des Landes geht.

Statt eigene Antworten auf soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Stabilität oder geopolitische Herausforderungen zu formulieren, setzen sich die Parteien der Mitte immer wieder defensiv mit den Parolen der AfD auseinander. Sie lassen sich treiben – wie eine Kuh durchs Dorf. Doch genau diese Strategie ist ein Bumerang. Sie sorgt nicht für eine Stärkung der demokratischen Mitte, sondern trägt dazu bei, dass die AfD als eigentlicher Taktgeber wahrgenommen wird.

Die Themenführerschaft liegt beim Populismus

Eine Demokratie lebt vom Wettstreit der Ideen. Doch wenn dieser Wettstreit zunehmend durch die Agenda populistischer Parteien dominiert wird, entsteht eine Schieflage. Die CDU etwa taumelt zwischen Abgrenzung und dem Versuch, AfD-Wähler:innen mit einer verschärften Rhetorik zurückzugewinnen. Die SPD und die Grünen betonen vor allem das moralische Versagen der Rechten, anstatt mit zukunftsfähigen Konzepten den Reformbedarf Deutschlands zu unterstreichen und argumentativ zu überzeugen.

Das Problem: Eine Politik, die nur in Abgrenzung zur AfD definiert wird, hinterlässt ein Vakuum. Wähler:innen, die sich klare Konzepte wünschen, fühlen sich zunehmend heimatlos. Währenddessen nutzt die AfD geschickt die Bühne, die ihr bereitet wird. Indem sie die politischen Mitbewerber:innen in eine Reaktionshaltung zwingt, sichert sie sich Themenführerschaft – auch ohne tragfähige Lösungen anzubieten.

Die Lösung: Eigene Visionen statt ständiger Abgrenzung

Es gibt einen Weg aus diesem Dilemma. Die demokratischen Parteien müssen zurück zu ihren Kernkompetenzen finden: Sie müssen mutig ihre eigenen Themen setzen und nicht jede Provokation der AfD zum Maßstab ihres Handelns machen. Statt sich immer wieder von Populisten treiben zu lassen, braucht es einen souveränen, selbstbewussten Diskurs.

Das bedeutet: Sachpolitik über Symbolpolitik stellen. Lösungen für steigende Lebenshaltungskosten, eine nachhaltige Wirtschaftsstrategie oder eine kluge Migrationspolitik sollten in den Mittelpunkt rücken – ohne permanent den Blick darauf zu richten, wie sich die AfD dazu positioniert.

Wer die Demokratie stärken will, muss sie aktiv gestalten – nicht nur gegen ihre Gegner verteidigen. Die Mitte muss sich aus ihrer Defensive lösen und wieder das tun, was sie eigentlich auszeichnet: kluge, sachorientierte und mutige Politik machen. Denn nur so kann die Spaltung des Landes überwunden werden.