Audiotext zum Nach- und Mitlesen:

20 – es ist eine Zahl, die mich als Mensch, als Bürger dieses Landes mit größtmöglicher Scham erfüllt, mich traurig, aber auch wütend und ungehalten stimmt.

20 – eine Zahl, die ein ganzes Land kompromittiert, bloß stellt, zeigt, dass viele Menschen so rein gar nichts aus der deutschen Geschichte gelernt haben, nicht im Ansatz verstehen, was die Worte Menschlichkeit, Fürsorge und Hilfsbereitschaft zu bedeuten haben.

20 – es ist die Zahl der brennenden Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland, alleine in diesem Jahr 2015 (Quelle: Tagesschau, 20:15-Uhr-Ausgabe, am 25.08.2015).
Fast täglich jetzt sind wir mit diesen schlimmen Nachrichten konfrontiert, müssen Bilder ertragen, von feigen Angriffen gegen Einrichtungen, die denen Schutz geben sollen, die ihn am dringendsten brauchen. Menschen, die vertrieben worden sind, die in ihrer Angst um Leib und Leben alles stehen und liegen haben lassen, um zu fliehen, um Schutz und Geborgenheit zu suchen, um ihren Familien und sich selbst das zu geben, was sie so dringend brauchen: Sicherheit und Unterkunft.

Es sind nicht nur diese Nachrichten, die schockieren, sondern ebenfalls die ganz offensichtliche Hetze, die Parolen, die menschenverachtenden Nachrichten, der braune Mob, der in den sozialen Netzwerken tobt und sein Geschwurbel in die Welt posaunt. Das Internet als Sammelsurium von sich selbst deklarierten „besorgten Bürgern“, die ihr rechtes Gedankengut unter dem ironischen Satzanfang „Ich bin kein Nazi, aber“ tarnen, sorgt für Entrüstung. Eine Gesellschaft lehnt sich zunehmend dagegen auf, will zeigen, dass Deutschland ein weltoffenes, ein herzliches und ein verantwortungsbewusstes Deutschland ist und das ist auch gut so.

Immer mehr Prominente bekennen sich öffentlich gegen die Hetze, äußern sich, beziehen Stellung, bieten Lösungsansätze. Til Schweiger, zum Beispiel mit seiner Initiative, selbst eine Flüchtlingsunterkunft bauen zu wollen oder die beiden Comedians Yoko und Klaas in ihrem viral-geteilten Video, das die Computer dieser Welt erobert hat.

Der gesellschaftliche Diskurs in der sogenannten Flüchtlingsproblematik – es sei angemerkt, dass ich dieses Wortkonstrukt selbst als verachtenswert beurteile. Dieser Diskurs deckt aber ein viel tief greifenderes Problem auf. Was in der Debatte um Flüchtlinge und ihre Aufnahme gipfelt, ist eigentlich eine Wertediskussion per se, in dessen Mittelpunkt der Mensch steht. Es ist die Frage, was uns unsere Mitmenschen Wert sind. Es ist die Frage, was wir überhaupt als Menschlichkeit ansehen. Es ist die Frage, ob wir bereit sind, uns Menschen anzunehmen, die in Not geraten sind und denen es wahrlich schlechter als uns geht. Es ist die Frage, ob wir bereit sind, wirklich zu teilen, ein minimales Etwas unseres überhohen Lebensstandards abzugeben. Und natürlich ist es auch die Frage, ob wir uns mit unserer eigenen Geschichte auseinander gesetzt haben, denn Deutschland selbst war Schauplatz von Krieg, Not, Vertreibung und Verfolgung.

Aber es ist auch die alltägliche Frage der menschlichen Werte, wie Verständnis, wie Geduld, wie Offenheit, wie Toleranz, Demut, Fürsorge, Güte und Philanthropie. All dies sind Attribute und Substantive, mit denen wir uns viel zu selten beschäftigen oder beschäftigt haben. Denn nicht nur im Kontext von Flüchtlingen und ihrer Not ist es geboten, für die Menschlichkeit einzutreten. Schon zu lange behandeln wir Mitmenschen in unserer Gesellschaft unter ganz anderen Prämissen.

Zum Beispiel unter dem Vorwand des Geldes. Oder der Zeit. Oder den eigenen Interessen. Oder dem eigenen Status. Beispiele ließen sich zu genüge aufzählen: man denke nur an die Pflege von kranken und alten Menschen. Man denke nur an all‘ die Berufsbilder, die heute kaum noch Familien ernähren können. Das Beispiel ließe sich auch ins Mikroumfeld brechen; denken Sie doch mal an sich selbst: wie behandeln Sie eigentlich ihre Mitmenschen, wie denken Sie über den Autofahrer vor sich, wie denken Sie über politisch anders denkende, wie behandeln Sie ihre Arbeitskollegen oder Servicepersonal, wie denken Sie über Flüchtlinge?

Verstehen Sie mich nicht falsch… ich möchte weder vom gesellschaftlichen Ruck, der durch die schlimmen Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte motiviert ist, ablenken, noch möchte ich dem dumpfen, hetzenden, braunen Mob, der Molotow-Cocktails schmeißt und das Internet mit Hetze überzieht, eine Lobby geben. Ich möchte lediglich weiter denken – und dabei verzeihen Sie mir bitte meine Naivität –, sehe ich den allzu oft als „Aufstand der Anständigen“ betitelten Aufruhr als Chance, unser generelles Miteinander in Deutschland an Werten auszurichten, die eine Renaissance verdienen. Und die in Zeiten einer ganz offensichtlichen Verrohung unserer Gesellschaft durch monetäre, vielleicht auch Partikular- oder Statusinteressen mehr als nötig erscheinen.

Einen einzigen Wert gibt es dann doch, den ich in diesem Zusammenhang unter keinen Umständen steigen sehen möchte. 20 – 20 Angriffe auf Flüchtlingsheime sind 20 zu viel und dürfen auf keinen Fall mehr werden.

Es liegt an uns! #RefugeesWelcome